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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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dem Sattel und beugte sich zu dem Mädchen hinunter, das ihm wohl in einem Sturz den Schlag versetzt hatte. Er strich ihr die wirren Haare zur Seite und konnte ihr ins Gesicht sehen. Die Lider hoben sich flatternd über zwei leuchtend grünen Augen. Er verschluckte hastig den rüden Tadel, der ihm auf der Zunge gelegen hatte. In Brügge stürzen Engel vom Himmel, dachte er. »Helft mir…«
    Kein Engel. Ein völlig aufgelöstes, verängstigtes Kind, dessen heisere flämische Bitte er mehr ahnen als verstehen konnte. Es zerrte krampfhaft am Ärmel seines Wamses, während der furchtsame Blick des Mädchens an ihm vorbei so entsetzt nach oben ging, dass Mathieu unwillkürlich den Kopf wandte, um ihm zu folgen.
    Er entdeckte ein offenes Fenster, hinter dem ein Mann zurückwich. Für den Bruchteil eines Herzschlages sah er eine stämmige Figur, wirres, grau gesträhntes Haar und ein Gesicht, das ihm bekannt war. Was war dort oben geschehen?
    »Seid Ihr von dort herabgestürzt?«, fragte er und suchte Gesicht und Gestalt des Mädchens nach Verletzungen ab. Unter den zerfetzten Röcken sah er eine Blutspur an ihren Beinen. »Hat er Euch…«
    »Rettet mich…«
    Inzwischen hatten sich eine Menge Gaffer um den Unglücksort gesammelt. Und da war auch er. Mathieu entdeckte hinter der Menschenmauer den quadratischen Schädel von Piet Cornelis, der sich rücksichtslos nach vorne drängte. Mathieu traf einen schnellen Entschluss. Er fasste den jungen Pastetenverkäufer ins Auge, der noch immer neben ihm stand. »Könnt Ihr sie halten, bis ich im Sattel sitze? Dann reicht sie mir. Ich bringe sie zu einem Medicus, je weniger Zeit wir verlieren, umso besser ist es für sie.«
    Bevor Piet Cornelis ihn erreichen konnte, hatte Mathieu das Mädchen vor sich im Sattel sitzen und lenkte das Streitross durch die Menge, wie Moses seine Israeliten durch das Rote Meer geführt haben mochte. Aus dem Augenwinkel sah er das Gesicht des Tuchhändlers. Er schnaubte vor Wut und fuchtelte mit den Armen. »Habt Ihr Schmerzen?«
    Mathieu war außer sich. Was diesem Mädchen geschehen sein musste, stand ihm drastisch vor Augen. Es war sinnlos, weitere Fragen an sie zu richten. Sie stand unter Schock. Er würde es tun, wenn sie sich gefasst hatte. Zuerst galt es einen guten Medicus zurate zu ziehen. Auch der Sturz von guten sechs Fuß Höhe auf die Gasse war sicher nicht ohne Folgen geblieben.
    Dass Jean Vernier einer der Ersten war, die ihm bei der Rückkehr in den Prinzenhof über den Weg liefen, wertete er als glücklichen Zufall. Er konnte seinem Waffenmeister Odysseus anvertrauen und ihn nach einem Medicus schicken, während er das Mädchen kurzerhand in sein Quartier trug und alle neugierigen Blicke, die ihm dabei folgten, ignorierte. Die Unbekannte kauerte sich mit einem Schmerzenslaut auf seinen Alkoven, sobald er sie dort abgesetzt hatte. Sie barg die schmalen bloßen Füße in den weiten Falten des Gewandes, versteckte den Kopf unter den Armen und weinte bitterlich.
    »Der Medicus wird gleich da sein«, versuchte er sie zu beruhigen. »Wollt Ihr nicht wenigstens einen Schluck Wein zu Euch nehmen?«
    Ein ersticktes Schluchzen war alles, was er von ihr vernahm, bis Jean Vernier mit dem Wundarzt des Grafen von Flandern erschien. Der gelehrte Doktor hielt es ersichtlich für unter seiner Würde, sich mit einer Frauensperson zu beschäftigen. »Was fehlt ihr?«, wandte er sich barsch an Mathieu. »Ein Sturz aus dem Fenster«, erwiderte Mathieu ebenso knapp. »Geht achtsam mit ihr um, sie ist außer sich vor Schreck.« Er beobachtete den Medicus, der mit der Erfahrung von Schlachtfeldern und Turnierplätzen prüfte, ob die junge Frau sich etwas gebrochen hatte. Sie wich entsetzt vor ihm zurück, aber er achtete weder auf ihre verzweifelte Gegenwehr noch auf ihre Tränen. Am Ende richtete er sich auf und ließ von ihr ab, ehe sie ihm die Augen auskratzte, wie er fürchten musste.
    »Ein verstauchter Knöchel, eine geprellte Schulter, vermutlich eine Entjungferung und ein verwirrter Kopf. Nichts, was ihr Leben akut gefährdet. Ihr werdet indes ein paar Tage auf die Dienste Eurer Buhle verzichten müssen. Gönnt ihr Ruhe. Den Knöchel soll sie hoch lagern und mit Arnikaumschlägen kühlen, die Schulter wenig bewegen. Derlei erledigt sich von selbst wieder. Gebt ihr den Sud von Johanniskrautblättern zu trinken, das beruhigt ihre aufgewühlten Säfte.« Mathieu machte sich nicht die Mühe, die nahe liegende Unterstellung zu korrigieren. Indes entlohnte

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