Beginenfeuer
fassen: »Du musst mit ihr so schnell wie möglich fort aus Brügge. Für heute ist es zu spät, aber morgen bei Tagesanbruch solltet ihr euch, ohne zu säumen, auf den Weg machen.«
»Wie stellst du dir das vor?« Mathieu protestierte. »Ich bin in offizieller Mission in Brügge. Ich muss meine Aufgabe erfüllen.«
»Alles, was du wissen musst, weißt du. Die neue Meisterin heißt Alaina Groeningsvelde, und was sie dir berichten wird, weißt du von mir. Von dem Brand. Von dem Spion Seiner Heiligkeit. Von den Plänen der Kurie, die frommen Frauen in ein Kloster zu zwingen.«
»Ist es dein Ernst, dass ich dem König all diese Neuigkeiten berichten kann? Werde ich dir damit nicht schaden?« Simon tat seine Sorge mit einer Handbewegung ab und sagte nach kurzem Nachdenken: »Piet Cornelis wird erfahren, dass Ysée im Prinzenhof ist. In Brügge fällt kein Stein ins Wasser, ohne dass er davon Kenntnis erhält. Er könnte ihre Flucht gefährden.«
»Überlass mir den Handelsherrn«, bot Mathieu an. »Als Gegenleistung erklärst du der Begine das bevorstehende Abenteuer. Sie ist in einem sehr üblen Zustand. Wenn du ihr Retter sein willst, dann musst du ihr deutlich machen, warum sie mitten im Winter durch das halbe Königreich reisen muss. Diese Reise wird kein Vergnügen, und mir wird sie nicht vertrauen.«
»Sie wird mit dir gehen, denn sie hat keine andere Wahl.« Sie standen auf, verließen das Gasthaus und umarmten sich auf der Gasse. Jeder ging in eine andere Richtung davon.
N EUNTES K APITEL
Flucht
D IE M AESTRA
Beginenhof vom Weingarten, 21. November 1309
Für die Kapläne, Kleriker und Familien, die mit religiösen Frauen zu tun haben. Humbert von Romans hatte diese Ratschläge zur Nonnenseelsorge aufgeschrieben. Die Schrift lag aufgeschlagen auf dem Lesepult, und die Zeilen, die sie las, waren nicht dazu angetan, ihre Unruhe zu vertreiben. »… wegen ihrer Ungeeignetheit für geschäftliche Dinge; denn religiöse Frauen, die im Kloster sein müssen, sind nicht so wie Männer dafür geeignet, für ihre Geschäfte hin und her zu rennen; deshalb erledigen Männer das für sie. Drittens aufgrund der Gefahr, denn es ist nicht ungefährlich, dass Frauen häufig wegen der geschäftlichen Dinge mit weltlichen Männern sprechen oder sich bei ihnen aufhalten…«
Schwester Alaina ging besorgt in ihrem Gemach auf und ab. Sie wusste, dass sie ein schweres Amt in einer schweren Zeit antrat. Seit Humbert von Romans und andere Dominikanermönche im Jahre 1274 für das Konzil von Lyon das Beginentum überprüft hatten, war das Ansehen der Beginen in der Kurie stetig gesunken. Die Schuld dafür lag in erster Linie bei den frei umherstreifenden Beginen. Diese Schwestern gehörten keiner Gemeinschaft an. Sie zogen in frommer Armut über das Land, baten um Almosen und predigten in Dörfern und Städten von der Liebe Gottes. Gemeinsam mit ihren Brüdern, den Begarden, erregten sie immer mehr Unmut und schadeten dem Ruf der gesamten Beginenschaft. Es gab bereits Bischöfe, die dafür eintraten, den Beginenstand im Ganzen zu verbieten. Der Prozess gegen Marguerite Porète war ein beredtes Anzeichen. Der Rat der Schwestern hatte Alaina nicht aufgrund ihrer Güte zur neuen Magistra gewählt, sondern weil sie großes Durchsetzungsvermögen besaß. Das war ihr klar. Wie sehr sie es bedauerte, dass sie am Abend des Brandes Bruder Simon gefolgt war. Hätte sie es vermieden, Ysée zur Rechenschaft zu ziehen, die Schrift der Marguerite Porète wäre mit den beiden bedauernswerten Frauen verbrannt. Bei dem Gedanken schlug sie das Kreuzzeichen und sprach ein schuldbewusstes Gebet für Ysée und ihre Mutter. Sie machte sich bittere Vorwürfe. Warum hatte sie Ysée nicht außer Gefahr gebracht und ihre Verzweiflung nicht richtig eingeschätzt?
Methildis von Ennen hatte ihr das verschlossene, stille Mädchen anvertraut. Ihre Worte waren: »Behandelt sie wie die empfindlichen Pflanzen in Eurem Kräutergarten, Schwester, und Ihr werdet sehen, dass sie zu Eurer Freude erblüht. Sie benötigt nur Geduld und Pflege.«
Nun konnte sie lediglich Seelenmessen für sie und ihre Mutter lesen lassen.
Es war kaum zu leugnen, dass nicht nur das Mädchen, sondern auch die alte Meisterin Schuld an ihrem ketzerischen Vergehen trug. Der ganze Beginenhof wäre in Ungnade gefallen, wenn einer der beiden Frauen der Prozess gemacht worden wäre. Was hätte sie getan, wäre Ysée am Leben geblieben? Hätte sie Pater Felix um Rat gebeten? Er
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