Beginenfeuer
habt Ihr diese Schrift?«
»Sie befand sich im Besitz von Schwester Ysée, ehrwürdiger Vater. Ich habe sie am Abend des Brandes bei ihr gefunden. Ich wollte Euch am nächsten Morgen mit dem Mädchen und dem Buch aufsuchen. Die Umstände haben es vereitelt.« Die Magistra wählte ihre Worte mit Bedacht.
»Wie kommt eine solche Schrift in den Besitz des Mädchens?«
»Ich kann es Euch beim besten Willen nicht sagen, ehrwürdiger Vater. An diesem Abend hat sie sich geweigert, es mir offen zu legen. Ich beließ es dabei, denn sie sollte Euch Rede und Antwort stehen.«
Pater Simons gefährliches Stelldichein mit Ysée an der Mauer erwähnte sie wohlweislich nicht. Es gab keinen vernünftigen Grund, weshalb der Mönch Ysées Gesellschaft gesucht haben sollte. Es sei denn, die beklagenswerte Anmut des Mädchens hätte ihn auf Abwege gelockt. In diesem Falle müsste sie ihn beschuldigen, und davor schreckte sie zurück. »Ketzerschriften fallen nicht vom Himmel«, schnaubte der Pater. »Wer kann ein solches Pamphlet in den Beginenhof gebracht haben? Verschweigt Ihr mir etwas, Schwester?« Alaina schwieg. Im Beginenhof bestimmte allein die Magistra die Anschaffung von Büchern. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis auch Pater Felix daran dachte. »Gott zum Gruße. Verzeiht, ich wollte nicht stören.« Bruder Simon trat in die Sakristei und wollte sich augenblicklich wieder abwenden, aber der Priester winkte ihn näher. »Ihr kommt gerade recht, Bruder. Was haltet Ihr davon?« Er reichte dem Mönch die Schrift. Alaina beobachtete, wie der Gottesmann aschfahl wurde. »Woher habt Ihr das?«
»Die Magistra hat es bei Schwester Ysée gefunden. Ihr wisst, die arme junge Frau, die im Feuer umkam.« Alainas Augen flogen in kaum verborgenem Erstaunen zwischen den beiden Männern hin und her. Es hatte den Anschein, als wolle Pater Felix dem Mönch wesentlich mehr mitteilen, als er mit seinen Worten ausdrückte.
»Ich dachte… es wäre verbrannt…«, stammelte der Mönch tonlos.
»Das wäre besser gewesen«, nickte der Priester, während Simon das Buch auf die Truhe mit den Messgewändern warf, als könne er die Berührung nicht länger ertragen. Es lag der Magistra auf der Zunge, einen gefährlichen Vorschlag zu machen, aber dann schwieg sie lieber. Männer duldeten keine Vorschläge von Frauen.
»Die junge Schwester hat für ihre Sünden gebüßt«, sagte Pater Felix nun mit einem tiefen Atemzug. »Sie muss sich vor der göttlichen Gerechtigkeit für ihre Irrtümer verantworten. Wir werden für sie beten.«
»Und dieses Buch?« Simon stellte die Frage, die der Meisterin so drängend am Herzen lag.
»Es wird im Feuer vernichtet, wie es einer Ketzerschrift gebührt. Ich werde selbst dafür sorgen, dass keine Spur erhalten bleibt.« Pater Felix bekreuzigte sich und sah die Magistra streng an. »Seid jedoch gewiss, dass ich jede einzelne Schwester auf ihren Glauben prüfen werde. Ich werde ergründen, ob die Saat der Häresie in unschuldigen Seelen Wurzeln geschlagen hat.«
»Gelobt sei Jesus Christus«, erwiderte die Magistra erleichtert. »Ihr erlaubt, dass ich mich entferne?«
»Geht mit Gott.«
Alaina ging gemessenen Schrittes hinaus. Nur sie wusste, wie viel Kraft es kostete, die Fassade aufrechtzuerhalten und nicht Hals über Kopf zu fliehen. Vor dem Gotteshaus blieb sie stehen und blickte in den grauen Novemberhimmel. Ihr Gebet um Stärke und Geduld richtete sie an die Mutter Gottes. Wenn eine Frau Hilfe bekam, dann sicher nur von einer anderen Frau. In der Sakristei stieß Pater Felix einen tiefen Seufzer aus. »Ich hätte nie gedacht, dass dieser entsetzliche Brand auch sein Gutes haben könnte. Aber er hat es mir erspart, die Novizin und ihre Mutter vor ein Kirchengericht zu stellen. Nachdem die Meisterin den Spiegel der Seelen in ihrem Haus gefunden hat, wäre mir nichts anderes übrig geblieben.« Bruder Simon wagte einen Einspruch. »Vielleicht wäre es nicht nötig gewesen? Vielleicht hätte man trotz allem ihre Unschuld beweisen können?«
»Macht Euch da keine Hoffnungen. Diese Schrift spricht für sich, und wir müssen am Ende noch dankbar sein, dass sie nicht bei Methildis van Ennen, mit allen unabsehbaren Fragen, gefunden wurde. Ich gehe jetzt, dieses teuflische Buch zu verbrennen.«
D ER K AUFMANN
Brügge, Haus Cornells, 21. November 1309
»Was willst du? Hab ich dich gerufen? Nein? Dann verschwinde.«
Katelin zog den Kopf ein und machte blitzschnell die Tür hinter sich zu.
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