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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Medizin saß und meine Doktorarbeit über das biologische Fundament der Erinnerung schrieb, kam mir eine Idee, die mich seitdem nicht mehr losgelassen hat: Dass es dank unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technologie möglich wäre, die schmerzliche Vergangenheit der Menschen auszulöschen und ihnen stattdessen wahres Glück zuteil werden zu lassen.«
    Cyrille blinzelte, dann schüttelte sie den Kopf.
    »Meinetwegen. Doch Ihre Fehlerquote ist zu hoch. Sie halten stur an Ihrer Theorie fest, ohne Ihre Vorgaben in Frage zu stellen. Haben Sie noch immer nicht begriffen, dass ein Mensch weder eine Laborratte noch ein Versuchskaninchen ist? Und indem Sie Teile des Gedächtnisses löschen, zerstören Sie möglicherweise andere vitale Bereiche, was lebenslange gravierende Schäden nach sich zieht. Ihr Verhalten ist nicht das eines Wissenschaftlers, sondern das eines Kriminellen.«
    Rama warf ihr einen hasserfüllten Blick zu.
    *
    Der Vollmond, dessen Schein sich im Meer spiegelte, tauchte die kleine Bucht in ein strahlend helles, übernatürliches Licht. Die mit Schaumkronen geschmückten Wellen brachen sich am Ufer. Das Laub der Kapokbäume raschelte im Wind. Das Boot mit dem spitz zulaufenden Bug erreichte nur mit Mühe den abgelegenen Strand der kleinen Insel, obwohl die felsengesäumte Bucht im Osten die sicherste und am meisten geschützte von allen war. Der Bootsführer sprang ans Ufer, das Wasser peitschte gegen seine Knie und trieb das Boot in seine Richtung. Soeben hatte er in einer einzigen Nacht so viel verdient, dass seine Familie ein ganzes Jahr davon würde leben können. Sein Goldzahn funkelte. Er reichte dem Verrückten die Hand, der ihn so großzügig entlohnt und sich während der Überfahrt die Seele aus dem Leib gekotzt hatte. Er half ihm dabei, aufzustehen, über die niedrige Reling zu steigen und die Böschung hinaufzuwanken. Er fragte sich erneut, was der Mann hier wohl zu suchen hatte.

50
     
    Cyrille war auf einen Schock gefasst.
    Die Schachtel, die Julien auf den Tisch stellte, enthielt mehrere große braune Umschläge, von denen einer mit CB gekennzeichnet war. Sie öffnete ihn und nahm den Inhalt heraus. Nun hielt sie ein Päckchen zusammengefalteter Fotokopien sowie eine CD-ROM in der Hand. Sie legte die Blätter auf den Tisch. Es waren von 1 bis 5 durchnummerierte Ausdrucke. Cyrille riss die Augen auf. Da war das Foto einer Packung Meseratrol-Injektionslösung, das eines Austernmessers und … einer unbekannten Dame. Auf einem anderen Blatt stand lediglich ein Code, den sie nur zu gut kannte, 5699CB, es war die Nummer auf ihrem Badge als Assistenzärztin. Das letzte Foto zeigte Julien in jüngeren Jahren.
    Sie betrachtete alles wortlos.
    »Was soll das Ganze?«, fragte sie den Forscher.
    Rama Supachai wand sich auf seinem Sessel.
    »Die Methode bestand darin, alles zusammenzutragen, was Sie vergessen wollten.«
    Sie nahm hinter sich eine Bewegung wahr. Julien war nähergetreten. Sie sah, wie er seine Hand nach dem Foto der Dame ausstreckte.
    »Das ist meine Mutter …«
    Cyrilles Blick glitt von dem Foto zum Gesicht ihres ehemaligen Patienten. In ihrer Brust kämpften widersprüchliche Gefühle. Was hatte Juliens Mutter mit ihrer Geschichte zu tun? Sie fühlte sich ratloser denn je. Die wenigen Puzzleteile, die sie in den letzten Tagen zusammengesetzt zu haben glaubte, waren wieder auseinandergefallen.
    Julien setzte sich neben Cyrille, ohne den Blick vom Gesicht seiner Mutter abwenden zu können. Er fühlte sich ebenso verloren wie sie.
    Eine gute Weile versuchte Cyrille, ihre Gedanken zu ordnen. Dann stand sie plötzlich auf, schnitt ein langes Stück Klebeband ab und näherte sich Rama Supachai, der mühsam atmete. Sie starrte ihn wortlos an, die Augen voller Verachtung, und klebte ihm erneut den Mund zu.
    »Dafür werden Sie bezahlen, und zwar teuer, das verspreche ich Ihnen«, murmelte sie.
    Dann wandte sie sich zu Julien um.
    »Komm mit!«
    Sie ergriff die CD-ROM und den Packen Fotokopien und ging zum Kernspin. Mit einer Handbewegung entledigte sie sich ihres Armbands und ihres Eherings.
    »Leg alles ab, was aus Metall ist.«
    Sie betätigte den Druckschalter, der die verglaste Schiebetür des Untersuchungsraums öffnete. Mit hartem Gesichtsausdruck und zusammengebissenen Zähnen betrat sie den Raum, knipste die Deckenlampe an und entfernte die durchsichtige Hülle des Neurostimulators, den sie bereits vom Dach des Gebäudes aus gesehen hatte. Julien blieb zögernd auf der

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