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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Schwelle stehen und beobachtete sie. Schließlich ging er zu ihr. Entschlossen schob Cyrille das Gerät zum Kopfende des Kernspins.
    »Cyrille …«, murmelte der junge Mann, »bist du sicher, dass wir noch so viel Zeit haben?«
    Ohne zu antworten, nahm sie den stereotaktischen Rahmen, mit dem der Kopf des armen kleinen Mädchens fixiert gewesen war, und legte ihn vorsichtig auf den Tisch. Der Monitor des Kernspintomografen war noch eingeschaltet. Sie tippte etwas auf der Tastatur und legte die CD-ROM ein. Nachdem sie den einzigen Ordner geöffnet hatte, der sich darauf befand, gab sie verschiedene Befehle ein. Daraufhin tauchte das dreidimensionale Bild eines Gehirns auf, mit Code-Zahlen in bestimmten Bereichen. Alle Koordinaten der Zonen, die man vor zehn Jahren behandelt hatte, waren vermerkt. Insgesamt waren es sechs, die sich auf das limbische System, den sensorischen und den präfrontalen Cortex verteilten.
    Sie gönnte sich eine Pause, um zu begreifen, was sie dort sah. Dann sagte sie:
    »Komm her und sieh zu.«
    Sie schaltete den Neurostimulator ein, den sie zum Kernspin gezogen hatte – ein großes fahrbares Gehäuse, aus dem ein Kabel aus Carbonfaser führte.
    »Ich erkläre es dir.«
    Sie hielt das Teil aus Carbonfaser hoch.
    »Das ist eine Stimulationssonde.«
    Dann deutete sie auf den Bildschirm, auf dem ein Gehirn zu sehen war.
    »Und das ist mein Gehirn. Die farbigen Zonen sind die, die Supachai vor zehn Jahren deaktiviert hat.«
    Sie legte erneut eine Pause ein, dann wurde sie sich der Ungeheuerlichkeit des Gesagten bewusst und schüttelte den Kopf.
    »Du wirst zunächst mit diesem MRT eine aktuelle Aufnahme von meinem Gehirn machen und anschließend die beiden Bilder übereinanderlegen. Das ist nicht kompliziert, das Gerät macht das praktisch allein. Dann schiebst du die Fotokopien in der angegebenen Reihenfolge in die Halterung vor mir und platzierst die Sonde auf meinem Kopf, und zwar jeweils über den Zonen, die nach und nach auf dem Bildschirm aufblinken. Keine Sorge, ich leite dich an.«
    *
    Julien half Cyrille, sich in dem offenen Kernspintomografen hinzulegen und ihren Kopf in dem stereotaktischen Rahmen zu befestigen. Cyrille atmete einige Male tief durch. Sie hatte Angst. Angst, eine große Dummheit zu begehen. Angst davor, dass die Wachen von Pot Supachai sie überraschen könnten. Aber konnte sie jetzt noch zurück? Nein. Sie wusste nicht mehr, wer sie eigentlich war und was sie tatsächlich getan hatte. Einen kurzen Moment lang schloss sie die Augen. Seit zwei Wochen kämpfte sie darum, wieder Zugang zu einer Vergangenheit zu erhalten, die sich ihr entzog. Sie zermarterte sich den Kopf, um sich den letzten Monat ihrer Zeit als Assistenzärztin zu vergegenwärtigen. Würde dies nun endlich gelingen?
    »Du musst jetzt die Schrauben anziehen«, sagte sie mit fester Stimme zu Julien.
    Der junge Mann schluckte und fixierte den Schädel der Ärztin. Cyrille spürte den Druck an den Schläfen und im Nacken. Sie schloss die Augen und holte tief Luft. Es war nicht gefährlich, lediglich ein unangenehmes Gefühl wie in einem Schraubstock. Der Druck nahm noch weiter zu.
    Die MRT-Aufzeichnung begann. Cyrille hörte das dumpfe Summen, Klopfen und Klicken – diese typischen Geräusche des Gerätes. Ihr Schädel wurde immer stärker zusammengepresst. Sie versuchte, gleichmäßig zu atmen und sich zu beruhigen. Sie zwang sich zu der Vorstellung, sie würde ihr Bandoneon nehmen, ihre Finger auf die Knöpfe legen, und spielte in Gedanken Contrabajisimo, das heiterste Stück, das sie kannte. Sie konzentrierte sich auf ihre Finger, denen eine große Geschicklichkeit abverlangt wurde, und die jazzige, fröhliche Melodie erklang in ihren Ohren.
    Während dieser Zeit zeichnete das Gerät Daten auf, und der Rechner erstellte das Modell ihres Gehirns. Einige Minuten später hatte die Software Cyrilles Gehirn dreidimensional dargestellt. Julien fühlte sich unwohl und gestresst. Er kratzte sich am Kinn.
    »Fertig«, sagte er.
    »Gut. Lade jetzt beide Gehirnbilder auf den Monitor und leg das Bild von der CD über das neue.«
    Julien führte die Anweisungen aus.
    »Fertig.«
    »Sind die Zonen des ersten Bildes auch auf dem zweiten dargestellt?«
    »Ja, ich glaube schon.«
    Cyrille räusperte sich, um die Angst aus ihrer Stimme zu vertreiben.
    »Gut. Leg jetzt in die Halterung vor mir das erste Foto, auf dem die Packung Meseratrol zu sehen ist.«
    Julien tat, wie ihm geheißen.
    »Und dann positionierst du die

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