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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Sie sah wirklich aus, als sei sie auf andere Gedanken gekommen. Oder sie überlegte vielleicht nur, was sie zum Dinner
servieren sollte – falls man diese Gewohnheit in diesem Teil des
Landes beibehalten hatte.
Bevor ich ging, rief ich von einem Münztelefon aus im Hotel
an. Ich sagte, daß ich das Zimmer nicht mehr brauchte, aber
wenn sie mein Gepäck aufbewahren würden, bis ich …
»Wir haben Ihr Gepäck beschlagnahmt, Veum.«
»Beschlagnahmt?«
»Bis wir die ramponierte Tür erstattet bekommen.«
»Erstattet? Darüber müßt ihr mit dem Mann an der Rezeption
reden. Es war verdammt noch mal nicht der Kundenservice, den
er mir da raufgeschickt hat.«
»Es hat keinen Sinn, ausfallend zu werden.«
»Also gut, wenn ihr Freude habt an dem alten Koffer und
meinen ausgelatschten Schuhen, dann meinetwegen. Aber meine
Rasiersachen hätte ich gern …«
»Es steht alles hier und wartet auf Sie, bis wir abgerechnet
haben.«
»Dann komme ich mit meinem Anwalt.«
»Und wer ist das, wenn ich fragen darf?«
Ich zögerte eine Sekunde. »Asbjørn Hellesø. Schon mal gehört?«
Ich wartete die Antwort nicht ab, sondern legte auf, bevor er
etwas sagen konnte. Das war die einzige Genugtuung, die ich
mir in der Situation verschaffen konnte, jedenfalls vorläufig.
9
    Auf der anderen Straßenseite standen drei Menschen vor einem
Bankomaten an, in einer Art melancholischer Meditation vor
dem Mammon, ein routinemäßiges Ritual, bevor man die
Abrechnung zur Post bringt, in einem Umschlag mit Fenster.
    Ich selbst ging hinüber zu Grensen, stellte mich an die Haltestelle und wartete auf die Straßenbahn nach Bislett.
Straßenbahnen strahlen eine imponierende Kraft aus, ganz
anders als Busse. Die Busse kommen holpernd und stolpernd
über Kopfsteinpflaster und Asphaltklumpen, Straßenbahnschienen und erhöhte Fußgängerüberwege. Die Straßenbahnen kommen mit einer stillen Eleganz daher, pflügen auf blankgeschliffenen Schienen kraftvoll durch die Stadt, finden ihre Ziele
wie friedliche Torpedos und setzen sich lautlos wie Gleitflugzeuge wieder in Bewegung.
Die Straßenbahnlinien zeichnen ihre Meridiane durch das alte
Oslo, von Majorstuen bis Sinsen, von Ljabru bis Jar, von Sagene
bis Skøyen. In den blauen Straßenbahnen fährt die eigentliche
Seele Oslos herum. Sie sind das Adelszeichen der Stadt und der
beste Grund hinzufahren. Einzig und allein, um den ganzen Tag
in der Straßenbahn zu sitzen, lohnt es sich, nach Oslo zu fahren.
Der Straßenbahnschaffner, häufig ein Ausländer, der mit einem klitzekleinen Akzent Osloisch spricht, meldet die Haltestellen mit schnarrender Schmalzstimme, als sei er der wiedergeborene Bing Crosby aus Islamabad. Von der Arbeit nach Hause eilende Frauen mit Tüten von Oluf Lorentzens Kolonialwarenladen teilen die Bänke mit älteren Mitschwestern, die die
gleichen Einkaufsnetze tragen wie in den fünfziger Jahren,
braun und verschlissen, aber von einer Haltbarkeit, mit der sich
Plastiktüten niemals messen können. Punks mit Ringen an den
unbeschreiblichsten Stellen stehen provozierend halb über einem älteren, adrett gekleideten Banker hängend da, der in der
Wirtschaftszeitung liest, während ein Autor, der vor vierzehn
Jahren einmal bekannt war, verzweifelt die Kulturseiten von Dagbladet durchblättert und auch heute wieder keine Rezension
seines neuen Buches findet.
Auf einer Straßenbahnfahrt langweilst du dich nie. Wenn du
dich auf Menschen verstehst, findest du immer wieder etwas
Neues zu beobachten.
Ich stieg an der Haltestelle Pilestredet aus, am Bislett-Bad, und
machte einen Umweg zu Thomas’ Wohnung, um nicht am
Eingang vorbeizukommen und mich möglichen neuen Konfrontationen mit Svein Grorud auszusetzen.
Ich betrat eine grüngestrichene Mietskaserne. Im vierten Stock
verkündete ein provisorisches Türschild aus Pappe, daß hier
Thomas Veum und Mari Midtthun hausten. Ich klingelte.
Thomas öffnete. Er staunte, als er mich sah. »Papa?! Du hier?
Willst du, äh, beim Oslo-Marathon mitlaufen?«
»Wie, wann ist der?«
»Am Samstag, glaube ich.«
Es gefiel mir, daß er mich Papa nannte, obwohl er mir längst
über den Kopf gewachsen war. Sein Haar war dunkler geworden, und jemand hatte ihn dazu gebracht, sich einen Bart stehen
zu lassen, einen spärlichen Anfängerbart mit einem Anflug von
Rot. Er trug, was er die letzten zwanzig Jahre immer getragen
hatte, Jeans und ein kariertes Flanellhemd.
»Aber komm doch rein! Steh nicht da rum! Schön, dich zu
sehen

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