Begrabene Hunde schlafen nicht
hellem, glatt lackiertem Holz. Das einzig Norwegische darin
waren die Alltagstrachten der Serviererinnen, die Waffelherzen
mit Marmelade und Rømme und der Geschmack des Kaffees. Es
war der von schlechtem Gewissen.
Was sollte ich jetzt tun? Das Hotelzimmer war sozusagen
überbelegt, und …
Thomas!
Vielleicht konnte ich dort übernachten, auf dem Boden im
Flur, wenn ich zusammengeklappt in einer Art schlafender
Yogastellung lag. Aber es war viel zu lange her, daß ich Yoga
praktiziert hatte, und ich hatte es nie weiter gebracht als bis zu
einem bescheidenen Lotossitz mit Knick in der Magengegend.
Wahrscheinlich war es das beste, Mons Vassendens Beispiel
zu folgen, den ersten Zug nach Bergen zu nehmen und zu
vergessen, daß es eine Stadt gab, die Oslo hieß, eine Firma, die
sich Grorud Inkasso nannte, und eine Frau namens Merete.
Marit kam mit forschen Schritten zur Tür herein. Das rotblonde Haar tanzte in der Luft, und auf ihrem Gesicht lag ein
Ausdruck von Besorgnis.
Ich erhob mich halb, reckte mich über den Tisch und hob eine
Hand, um ihr zu zeigen, wo ich in Deckung gegangen war.
Sie entdeckte mich, lächelte plötzlich und eilte auf mich zu.
»Ging es gut? Du bist weggekommen?«
»Wie du siehst. Aber nur um Haaresbreite. Hättest du mich
nicht gewarnt, könnten sie mich wahrscheinlich jetzt da oben
vom Teppich abkratzen. – Was sollte das Ganze?«
»Keine Ahnung. Aber es hatte etwas mit der Frau zu tun – die
du wiederzuerkennen glaubtest.« Sie sah sich um. »Hast du …
Ich glaube, ich muß mir was zu essen holen.«
»Ja, warum nicht?«
Als wir zum Tresen gingen, schielte ich hinüber zum Eingangsbereich, ob nicht vielleicht Svein Grorud doch noch
auftauchen würde. Und wenn, dann käme er sicherlich nicht
allein. Die treibenden Wolken über Oslo hatten sich zusammengerauft. Jetzt ging ein Wolkenbruch nieder, auf den Bergen hätte
stolz sein können. Das Wasser prallte von den Rinnsteinen ab
und legte sich wie Tauperlen auf die Fensterscheiben. Alle, die
draußen waren, suchten Schutz – unter Baldachinen, in Hauseingängen oder im nächsten Café. Schon nach wenigen Minuten
war die Kaffistova brechend voll, und die Schlange vor der
Kasse war länger als beim Weinmonopol am letzten Verkaufstag vor Ostern.
Wir holten uns jeder eine Portion Labskaus mit Flatbrød und
Preiselbeermarmelade. Auf dem Weg zurück zum Tisch konstatierte ich, daß die Kaffistova, trotz des Turin-Interieurs, noch
immer ein Refugium für Ursprüngliches war.
»Ich brauchte was zu essen. Ich koche mir heute sowieso
nichts mehr, jetzt, wo es so spät wird, nur für mich alleine«,
sagte sie beim Hinsetzen. Sie stellte das Tablett ab und reichte
mir die Hand über den Tisch. »Ich habe mich noch gar nicht …
richtig … Marit Johansen heiße ich.«
Ich nahm brav ihre Hand. »Varg Veum.« Ich würzte das
Labskaus vorsichtig mit Salz und Pfeffer und öffnete die
schmale Restaurantpackung mit Flatbrød.
»Ich werde nie wieder – irgendwas stimmt nicht mit dem
Laden, ich werde dem Vermittlungsbüro Bescheid geben.
Grorud Inkasso – nie wieder!«
»Irgend etwas stimmt nicht? Was meinst du?«
Sie schluckte und wedelte mit der Gabel vor mir herum.
»Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll, aber irgendwie
war alles nur wie eine Fassade, als würde die Firma gar nicht
existieren.«
»Für Mons Vassenden war sie höchst real, kann ich dir sagen.«
»Ja, ich meine nicht – aber es passierte fast nichts, es waren
keine Briefe zu schreiben, keine Rechnungen zu verschicken, es
kamen ein paar Anrufe und dann ihr und Frau Hauger und dieser
Schwede, aber das war alles.«
»Und – der Grund, mich anzurufen …«
»Ja, das war ganz zum Schluß, nachdem Grorud wieder zurück
war.«
»Nachdem …«
Sie schob ihren Teller zur Seite, trank einen Schluck Mineralwasser, lächelte ihr offenes Lächeln und sagte: »Und nun sitzen
wir hier.«
Ich kaute auf einem Bissen Salzfleisch. »Mhm. Vielleicht
sollten wir das Ganze etwas systematischer angehen. Wenn ich
recht verstehe, dann hast du – wann haben sie dich engagiert?«
»Vor zwei Tagen. Und nie wieder!« Sie trank Kaffee in kleinen Schlucken, aber sie schien das Tempo sowieso etwas
heruntergeschraubt zu haben. »Ich bin eine rastlose Seele.
Deshalb arbeite ich für dieses Aushilfsvermittlungsbüro. Aushilfsdienste AG. Statt tagein, tagaus an den gleichen Arbeitsplatz zu gehen, erlebe ich ständig neue Menschen, neue Orte,
neue Bereiche. Einen Monat vielleicht
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