Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
hochschwangere Teekanne, aus der Kräutertee dampfte. Sie stellte die Kanne ab und
ging in die Küche, um Tassen, Teller und ein paar kleine, runde
Kekse zu holen, die wie Oblaten aussahen und wie Lodenstoff
schmeckten.
Wir unterhielten uns ein paar Stunden über Bücher, die ich
nicht gelesen hatte, und Orte, an denen ich nicht gewesen war.
Sie erzählten von der Süße ihrer ersten Begegnung am Gare du
Nord und wie sie ausgerechnet in Helsingborg den Anschluß
verpaßt hatten. Mari und ich fanden einander, als sie erzählte,
daß sie öffentliches Recht studierte, am liebsten aber auf die
Hochschule für Sozialpädagogik ginge. »Da war ich«, sagte ich.
»Ach, ehrlich?«
»Ich habe beim Jugendamt gearbeitet.«
»Ja, das war, bevor er bei der Versicherung anfing«, sagte
Thomas schnell.
Kurz darauf brach ich auf.
»Ich weiß nicht, wie viele Tage ich bleibe, Thomas, aber – ich
muß hier Nachforschungen anstellen. Du verstehst. Die Versicherung. Wenn etwas sein sollte, erreichst du mich unter dieser
Telefonnummer.«
Ich holte Adresse und Telefonnummer von Marit hervor, und
er notierte sie.
»Wer ist das?«
»Eine Bek … Eine Geschäftsverbindung sozusagen.«
Er sah mich prüfend an. »Aber du bist noch mit Karin zusammen?«
»Jaja. Wir benehmen uns, wie es sich für wohlerzogene junge
Leute gehört. Wohnen jeder auf seiner Seite der Stadt, sehen uns
aber regelmäßig.« Ich drehte mich zu Mari herum. »Mach’s gut.
Es war nett, dich kennenzulernen. Ich hoffe, ihr schaut mal rein,
wenn ihr in Bergen seid. Und einen Gruß nach Løten. Da gibt’s
doch eine Aquavitbrennerei, oder? Ich hatte mal viele Freunde
dort.«
»Hattest? Wen denn?«
»Gute, wertvolle Freunde«, sagte ich, zwinkerte ihr zu und
überließ es Thomas zu erklären, welche Freunde die Versicherungsgesellschaft Nemesis in Løten hatte und warum sie mir so
wertvoll waren.
Draußen war es dunkel geworden: eine rauhe Septemberdunkelheit mit dem Bauch voller Neonflecken.
Mit Einbruch der Nacht erwachte Oslo wieder zum Leben, zu
neuem, vibrierendem und, wie ich schnell das Gefühl hatte,
nicht ganz ungefährlichem Leben.
Pilestredet hinunter wechselten Menschen die Straßenseite,
wenn ihnen Gruppen von drei oder vier entgegenkamen. Eine
Frau sah die ganze Zeit über die Schulter zurück, während sie,
den Schlüssel schon in der Hand, im Laufschritt von einer
Haltestelle zum nächsten Hauseingang eilte. Ein dunkelhäutiger Mann sah mich im Vorbeigehen ängstlich an, als fürchtete er, ich würde ihm ein Bein stellen, und vor dem Blitz-Haus * stand
eine Handvoll Jugendlicher in Lederjacken; sie sahen aus, als
könnten sie jeden Augenblick auf die Idee kommen, eine
spontane Demonstration gegen mich zu beginnen.
Ich selbst war auch auf der Hut, für den Fall, daß Svein Grorud
noch nicht Feierabend gemacht hatte. Aber kein Kraftprotz löste
sich aus dem Schatten, keine Geräusche, die zu laufenden
Schritten wurden, schwer wie Schmiedehammerschläge.
Unten am Halfdan Kjerulfs Plass nahmen die Straßenbahnschienen die Farbe einer großen blauen Leuchtreklame an, als
seien auch sie mit Neon gefüllt. Sie wurden zu blauen Bogen in
der Kurve, wo eine Abendbahn die Kristian Augusts Gate
heraufglitt, lautlos wie ein Geisterzug.
Ich ging weiter die Frederiks Gate hinunter. Zwischen den
Baumkronen im Schloßpark sah ich das flutlichtbeleuchtete
Schloß schimmern und König Carl Johan erhobenen Hauptes
auf seinem gegossenen Sockel stehen und stumm über sein
verlorenes Protektorat starren.
Am Nasjonalteater ging ich in den Untergrund. Eine Gruppe
äußerst fein gekleideter junger Menschen stritt erhitzt mit zwei
* Von Mitgliedern linksradikaler Gruppierungen besetztes Haus, in dem auch
Konzerte und politische Veranstaltungen stattfinden.
    uniformierten Wachmännern, aus welchem Grund auch immer.
Ich mischte mich nicht ein, aus Furcht davor, auf althochnorwegisch angesprochen und, noch bevor ich den Bahnsteig verließ,
zu lebenslänglicher Mitgliedschaft im Club der Ewiggestrigen
gezwungen zu werden.
    Als der Zug nach Østers einfuhr, stieg ich ein und setzte mich
ganz nach hinten.
Den ersten Teil der Strecke fuhren wir direkt unter Grotten
hindurch, als seien wir eine Art elektrisierte Ausgabe der
Wichtel und Zwerge des Dichters, der einmal dort oben gewohnt
hatte. Bei Majorstuen kamen wir wieder hinauf in die Abendbeleuchtung, wie ein mechanischer Maulwurf auf Nachtraubzug.
Ich sah auf die Uhr. Mons Vassenden war längst

Weitere Kostenlose Bücher