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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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in Bergen.
Ich hoffte, daß er gut angekommen war und daß es ihm gutging
am Abend des Tages, an dem sein Kredit getilgt worden war.
10
    Es scheint irgendwie kein Zufall zu sein, daß die Kaserne der
Garde Seiner Majestät des Königs in Huseby näher bei den
beiden Hügeln liegt, auf denen die reichsten und mächtigsten
Personen des Landes wohnen, als beim Schloß, das sie eigentlich bewachen sollte. Aber schließlich ist auch die Furcht vor
einer Revolution in der Gegend größer als am oberen Ende der
Karl Johans Gate.
    In Flutlicht getaucht wie eine Kathedrale, erinnerte die angebaute Sprungschanze an einen versteinerten Tyrannosaurus Rex,
der hungrig den Hals zur Spitze des Holmenkollen streckt. Auf
der anderen Seite des Tales lagen die Villen von Ullernåsen wie
funkelnde Steine in einem übergroßen Diadem, alles beste
Qualität und höchste Preisklasse.
    Hier versammelte sich große Macht in den Händen sehr weniger. Hier erhob man die Sherrygläser auf die mächtigsten
Bankiers und Finanziers des Landes. Industrieherren mit
Tausenden von Untergebenen und Geschäftsmänner mit einem
Jahresumsatz gleich einem halben Verteidigungsbudget. Ihre
unumstrittene Tüchtigkeit äußerte sich in einem auffälligen
Paradox. Studierte man die Steuerbücher Oslos, würde man
entdecken, daß auf diesen beiden Hügeln im Verhältnis zum
Einkommen weit weniger Steuern gezahlt wurden als irgendwo
sonst in Norwegen. Ein Vorschullehrer aus Lærdal in Sogn
steuerte wahrscheinlich mehr zum Wohl der Allgemeinheit bei
als eine Handvoll Firmenbesitzer aus Oslo 3.
    Ich stieg an der Station Hovseter aus und folgte Marits Skizze.
Auf dem Weg bergauf kam mir eine Horde von fünf oder sechs
Jugendlichen entgegen, alle dunkelhäutig, in Jeans und gelben
oder roten Sportjacken. Einer bog die Antenne eines parkenden
Autos herunter und ließ sie wieder los, so daß sie vibrierend in
der Luft stand, als hätte sie gerade eine äußerst verwirrende
Meldung aus dem All empfangen. Ein anderer sagte im Vorbeigehen etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand, und alle
lachten. Ich blieb nicht stehen, um zu fragen, worüber.
    Marit Johansen wohnte in einem typischen Hochhaus aus den
frühen siebziger Jahren, einem verwachsenen Nistkasten, sieben
Stockwerke hoch und mit Aussicht auf eine bessere Welt. Es
war auffallend gut instand, und als ich hineinging, bemerkte ich,
daß es keine Türschwelle gab, als sei es für Rollstuhlfahrer
umgebaut.
    Ich nahm den Fahrstuhl in den Fünften und kam in einen
langen Korridor, von dem nach beiden Seiten Wohnungen
abgingen. Ihre lag links.
    Auf mein Klingeln hin machte sie sofort auf, als hätte sie
direkt hinter der Tür gestanden und nur auf mich gewartet. Aber
als ich eintrat, sah ich, daß der Grund ein anderer war. Sie stand
am Telefon, direkt neben der Tür.
    Sie lächelte mir zu und zeigte auf den Hörer, hob ihn ans Ohr
und sagte: »Ja, jetzt kommt jemand. Ich muß … Was? Nein, nur
ein – Bekannter. – Ja. – Jaja. – Mach’s gut. Bis dann.«
    Sie legte auf und verdrehte die Augen. »Meine Mutter. Sie
kann nicht begreifen, daß ich mit neunundzwanzig noch nicht
verheiratet bin. Aber – leg ab und komm rein, ich hab’ Wasser
aufgesetzt. Möchtest du eine Tasse Tee?«
»Ja bitte.«
    Ich legte ab und folgte ihr durch den Flur ins Wohnzimmer. Es
war modern eingerichtet, mit hellgrauen Ledermöbeln, farbenfrohen Bildern in Silberrahmen, einem Regal mit Buchclubbüchern, Fernseher, Video, CD- und Kassettenrecorder.
    Die Pflanzen waren grün und hart im Nehmen, vom Typ, den
du nur einmal im halben Jahr mit einem Staubtuch behandeln
mußt. Das Zimmer lag nach Osten hin, mit Aussicht auf die
Stadt von Grefsenkollen bis Ekebergåsen. Eine Tür führte auf
die Veranda, die morgens sonnig, zu dieser Tageszeit aber kühl
war.
    »Setz dich.«
»Danke.«
    Sie ging in die Küche, die offen an das Wohnzimmer anschloß, so daß ich sie weiterhin sah. Sie hatte sich umgezogen;
jetzt trug sie Jeans und ein weißes T-Shirt mit einem Bild von
Bruce Springsteen.
    Der Fernseher lief ohne Ton. MTV für Taube. Die Musikvideos flimmerten aus den verrücktesten Winkeln vorbei, direkt von
oben, von unten, schräg von der Seite, in einer synkopierten
Froschperspektive, als hätte der Kameramann einen chronischen
Schluckauf. Die Models waren ausgezogen, angezogen, tanzend,
meditierend, in Schwarzweiß und in Farbe, aber nie normal,
immer in grellem Kontrast oder mit blauroten

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