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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Art
lokaler Festung zum Schutz gegen unerwünschte Eindringlinge.
Ich fühlte mich wie ein solcher.
    Ich fuhr bis zum Nasjonalteater, und als ich dort wieder ans
Tageslicht kam, hatte es aufgehört zu regnen.
Ich war jetzt auf der Hut. Der Lauf von Bislett zum Wergelandsvei steckte mir noch in den Beinen, und ich sah immer
Svein Grorud vor mir, wie er die Tür zu meinem Hotelzimmer
zerschmetterte.
Hinter dem Bahnhofsgebäude ragte das Oslo Plaza wie ein
geschienter Daumen in die Höhe, so stark verletzt, daß er blau
geworden war. Ich überquerte Jernbanetorget, noch immer auf
Zehenspitzen.
Die Wolken, aus denen der plötzliche Regenschauer gekommen war, zogen in Richtung Nordosten. Der Himmel über Oslo
war so blank und frisch lackiert, daß das große Hotel in Vaterland aussah wie ein neuerrichteter Flügel desselben, eine
Zwischenstation für Seelen im Transitbereich. Wie die meisten
Großinvestitionen in Norwegen in den letzten zehn Jahren war
es in schwedischem Besitz, und das Logo der Hotelkette, zu der
es gehörte, ein grüßender Piccolo in Schwarz und Rot, hing mit
einer Selbstverständlichkeit über dem Jernbanetorg, als sei es
das neue Wappen der Hauptstadt.
Ich kam in eine der längsten Hotelrezeptionen, die ich je
gesehen hatte, aber die Halle war auffallend leer. Ich nahm Kurs
auf den mir nächsten Rezeptionsangestellten und durchquerte
den Raum mit dem Gefühl, als wäre es eine Fjellebene, auf der
ich den, den ich treffen sollte, schon Stunden bevor ich ihn
erreichte, sehen konnte.
Ich ergriff die Initiative, indem ich meine Frage schon stellte,
bevor ich den Tresen erreichte, als käme ich zu spät zu einer
Verabredung. »Jansson in 1940 – er ist da, hoffe ich?«
Der Mann an der Rezeption, mit einer Frisur so glatt wie das
Lächeln, das er mir schenkte, tippte ein paar Nummern auf einer
Tastatur und warf einen Blick auf seinen Computermonitor.
»P. E. Jansson?« murmelte er, ohne aufzusehen.
»Ja«, sagte ich kurzatmig.
»Er ist da. Nur einen Moment bitte, ich werde …«
»Wir sind verabredet. Ich gehe gleich rauf.«
Ich ging auf die Fahrstühle zu, und er machte ein Handzeichen, als wollte er mich stoppen, aber genau in dem Moment
klingelte das Telefon vor ihm auf dem Tresen.
Als er abnahm, ging ich weiter, aber sein Tonfall stoppte mich;
ich drehte mich um und sah ihn.
»Was sagst du?« Ein Ausdruck beherrschter Bestürzung
breitete sich auf seinem Gesicht aus wie Ringe im Schlamm.
»Vom – was sagst du? Neunzehnten, zwanzigsten? Aber
Herrgott noch mal. Mann! Ja, ich rufe an. Ja, sofort. Ja. Kein
Wort zu …« Er legte auf.
Einen Augenblick lang stand er nur da und starrte auf mich,
ohne mich überhaupt zu sehen, als sei ich durchsichtiges Plasma
ohne eine Andeutung menschlicher Merkmale.
Er hob den Telefonhörer wieder ab und wählte eine Nummer,
während er mir in einer Art Reflex seines unbewußten Rezeptions-Ichs leicht den Rücken zukehrte.
Ich sah ihn verwundert an und ging dann weiter auf die Fahrstühle zu.
Im Oslo Plaza einen Fahrstuhl zu wählen war, wie in einem
mondänen Sommerrestaurant ein Mittagsgericht auszusuchen, je
nachdem, wie schnell und wie hoch du fahren wolltest.
Kamst du nach achtzehn Uhr, wenn die Bar ganz oben offen
war, konntest du außen fahren, in einer Glasglocke, die dir eine
schwindelerregende Aussicht auf das Straßennetz unter dir,
Jernbanetorget, Oslo S. und andere architektonische Meisterwerke bot. Aber das war noch lange hin.
An den roten Zahlen über den Fahrstuhltüren konnte ich
ablesen, daß einer im neunzehnten Stock stand, während ein
anderer auf dem Weg nach unten war.
Ich stieg in den Fahrstuhl, der offenstand, wartete und drückte
den Knopf zum neunzehnten Stock. Hinter mir glitt die Tür
geräuschlos zu, und mit einem diskreten Seufzer wurde ich nach
oben gesogen, als holte der Wolkenkratzer nur ganz zufällig
Luft, öffnete den Mund und spuckte mich neunzehn Stockwerke
höher auf einen roten Läufer wieder aus, ein paar Lichtjahre und
einige Sekunden später.
Der Korridor war geschmackvoll ausgestattet, in Grau und
Burgunder, der Boden ganz mit Teppich ausgelegt. Goldene
Zahlen gaben an, in welcher Richtung die einzelnen Zimmernummern lagen. Ich ging in Richtung 1940.
Ich sah auf die Uhr. Es war halb eins. Die meisten hatten
ausgecheckt. Weit hinten im Korridor manövrierte ein Zimmermädchen einen Reinemachwagen in eines der Zimmer. Sonst
war kein Leben auf dem Flur.
Ich blieb vor der Tür zur 1940 stehen.

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