Begrabene Hunde schlafen nicht
bin.«
»Aber was willst du sagen? «
»Oh, mir fällt schon was ein. Das ist sozusagen ein Teil meines Jobs.«
»Ja, erzähl mal, ich habe noch nie – was macht eigentlich ein
privater Ermittler?«
Ich erzählte es ihr in knappen Sätzen. Eine Art Vita brevis, mit
Schwerpunkt auf dem Alltäglichen, der Suche nach verschwundenen Autos im Auftrag der Versicherungsgesellschaft in Fyllingsdal, auf der Suche nach verschwundenen Personen im Auftrag diverser Kreditinstitute und einiger Privatleute.
Ich erwähnte nichts von den Todesfällen, auf die ich zufällig
gestoßen war, von den Leichen, über die ich im Laufe meiner
siebzehnjährigen Karriere gestolpert war, nichts von den zerbrochenen Schicksalen, deren Reste ich zusammengekehrt hatte, die
ich in Briefumschläge gesteckt und unter dem Stichwort noli me
tangere, »Rühr mich nicht an«, archiviert hatte.
Auch wir rührten einander nicht an.
Sie holte ein Gästelaken und eine Decke, und ich machte mein
Bett auf dem Ledersofa, öffnete die Verandatür einen Spalt zum
Septemberdunkel und hörte, wie sie sich im Zimmer nebenan
zur Ruhe begab; in ein Bett, das knirschte, als sie sich hineinlegte, das aber später keine anderen Geräusche mehr machte als
die, die ein normaler Nachtschlaf mit den vorsichtigen Rotationen von einem Traum in den anderen mit sich bringt. Ich selbst
schlief in unruhigen Schüben. Einmal fuhr ich hoch und hatte
nicht die geringste Ahnung, wo ich war. Ein paarmal stand ich
auf und drehte Runden durch den Raum, um wieder zur Ruhe zu
kommen.
Am nächsten Morgen war der Himmel hoch und blau, gespickt
mit treibenden grauen, haiähnlichen Wolken. Am Frühstückstisch sah sie mich forschend an. »Du hast heute nacht nicht
besonders gut geschlafen, ich habe dich rumlaufen hören.«
»Du lagst also mit der Flinte im Anschlag da, für den Fall, daß
ich auf dem Weg zu dir wäre?«
Sie lächelte stramm und sagte nichts.
Ich trank einen Schluck Kaffee. »Ich hatte einen Alptraum.«
»Was für einen?«
»Das weiß ich nicht mehr genau. Aber – kennst du die Geschichte von dem kleinen holländischen Jungen, der das Dorf
vor einer Katastrophe rettete, indem er ein Leck im Deich mit
seinem Finger zuhielt?«
»Njaa, vielleicht?«
»Ich bin mit dem Gefühl aufgewacht, in derselben Situation zu
sein, aber während ich dastand mit dem Finger im Loch,
entdeckte ich ein anderes Leck, ein Stück weiter weg, und als
ich hinlief, um es zu stopfen, sprudelte das Wasser natürlich
wieder aus dem ersten Loch, und dann entdeckte ich noch mehr
Lecks! Bist du schon mal mit dem Gefühl aufgewacht, daß der
Damm zu brechen droht, daß du dich auf eine Katastrophe zu
bewegst, die du unmöglich verhindern kannst? – Ungefähr so
war es.«
Sie sah mich ernst an. »Doch, ich … ab und zu.«
Ich nickte nach Westen. »Ich glaube, ich werde da rüberspazieren. Es ist nicht zu weit, oder?«
»Nein nein. Ich werd’ dich bis zur Bahn begleiten und dir die
Richtung zeigen. Dann kannst du dich nicht verirren – im
Häuserwald von Huseby.«
»Ich habe mich wohl schon verlaufen«, murmelte ich und sah
in meine Kaffeetasse, als läge das Geheimnis des Lebens auf
ihrem Grund verborgen und als brauchte man nur auszutrinken,
um die Antwort zu finden.
11
Sie war wohl das grazilste Wesen, das ich je gesehen hatte, eine
Art Sternenfee, die endlich ihren Mut zusammengenommen und
das Nimmerland verlassen hatte, nur um zu entdecken, daß Peter
Pan und die vergessenen Jungen längst verschwunden waren,
und um dann ganz plötzlich zu altern.
»Ja?«
»Frau Sjøwold?«
»Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Veum. Ich kannte einmal ihre Tochter.«
»So?«
Frau Sjøwold wohnte in einem bescheidenen Einfamilienhaus
aus Naturstein, mit einer Wohnfläche von der Größe einer
mittelgroßen Grundschule. Wie die meisten Häuser im Hoffsjef
Løvenskiolds Vei lag es schüchtern zurückgezogen, von immergrünen Hecken umrahmt und hinter einer schmiedeeisernen
Pforte, die zu öffnen nur ein Schmiedemeister in der Lage
gewesen wäre. Sie selbst flog vermutlich darüber.
Frau Sjøwold hielt sich eine schmale und durchsichtige Hand
vor die Brust ihres grauen Kleides mit hellroten Streifen. Sie
trug eine Kette um den Hals, und die Hand ballte sich um einen
kleinen elektronischen Alarmknopf.
Sie folgte meinem Blick und sagte entschuldigend: »Ja, in
meinem Alter, wenn man allein lebt, man weiß nie, was einem
zustößt. Sie sind in zwei Minuten hier, wenn etwas
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