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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Als ich die Hand hob,
um anzuklopfen, bemerkte ich, daß sie nicht ganz geschlossen
war. Ich klopfte trotzdem an, so schnell und schwach, daß man
es fast als bloße Formalität bezeichnen mußte.
Niemand antwortete.
Ich sah mich nach beiden Seiten um. Das Zimmermädchen
war weg. Auch sonst war niemand zu sehen.
Rasch schob ich die Tür ganz auf und trat durch die kleine
Garderobe ins Zimmer.
Es durchfuhr mich wie ein schwindelerregender Sog.
Das Zimmer mit den hellbraunen Ledermöbeln, dem ungemachten Bett, dem blinden Fernseher und dem offenen Koffer
war eine Art galaktischer Trakt, ein schwarzes Loch im Himmelsraum über Oslo.
Durch das Fenster sah ich die Aussicht aus dem neunzehnten
Stock, auf Ekeberg und Østensjø und die Wälder von Østmarka.
Ich sah es nur allzugut, denn das ganze Fenster war zersplittert
wie nach einer kräftigen Explosion, und die Reste der weißen
Tüllgardinen flatterten aus dem Fenster wie der Brautschleier
hinter einem frischverheirateten Paar in einem offenen Auto auf
dem Weg zur Scheidung.
Von einer plötzlichen Angst ergriffen, ging ich in die Knie.
Der weiche Teppich wallte unter mir, und ein Anfall von
Übelkeit jagte durch meinen Körper.
Auf allen vieren bewegte ich mich auf die gähnende Fensteröffnung zu. Draußen hörte ich Sirenen, von weit, weit unten,
wie aus einem anderen Universum.
Vorsichtig, aus Angst, ich könnte wie ein Ballon abheben,
streckte ich den Kopt über die Fensterbank nach draußen.
Unter mir fletschte der Abgrund die Zähne, und ich zog mich
schnell weit ins Zimmer zurück.
Ich hatte gesehen, was zu sehen war.
Auf der Spitze des Glasdaches über der Galerie Oslo lag ein
gestürzter Mensch, ein Ikarus ohne Fallschirm. Er lag ganz still,
Kopf und Hände hingen durch zerbrochene Glasscheiben, als
läge er nur da, um hinunterzuschauen, ohne daß ihn jemand
bemerkte.
Er brauchte sich nicht mehr zu verstecken. Es machte keinen
Unterschied, ob ihn jemand bemerkte oder nicht. Er hatte
gesehen, was er sehen sollte.
13
    Hastig sah ich mich um. Jetzt erkannte ich eine Art Ungleichgewicht in der Plazierung der Möbel. Der eine lederfarbene
Sessel war ganz in eine Ecke geschoben. Der kleine Beistelltisch
stand gegen den anderen Sessel gepreßt, und die Stehlampe aus
Messing lag vor der weißen Kommode am Boden, mit verbeultem Schirm und zersprungener Birne, als hätte jemand sie zum
Schlagen verwendet.
    Ich trat zum offenen Koffer. Hemden, Unterwäsche, eine helle
Hose, ein amerikanisches Taschenbuch von der ganz maskulinen Sorte. Keine persönlichen Habseligkeiten, keine Papiere.
    Ich warf einen Blick auf das Namensschild. Dort stand P. E.
Jansson, darunter eine Stockholmer Adresse. Jedenfalls war ich
im richtigen Zimmer.
    Auf dem Weg nach draußen warf ich einen Blick ins Badezimmer. Ein Rasierapparat und eine Flasche Rasierwasser. Das
war alles.
    Ich zog die Tür wieder ein Stück zu, beeilte mich, durch den
leeren Flur zu kommen, und drückte bei den Fahrstühlen auf den
Abwärts-Knopf. Als die Tür sich öffnete, sah ich an den
Zahlenkolonnen der anderen Fahrstühle, daß mindestens zwei
auf dem Weg nach oben waren. Meiner sollte nach unten, und
ich bekam Begleitung von einem älteren amerikanischen
Ehepaar aus einer der Topetagen. Mit gleichgültiger Miene
starrten sie vor sich hin.
    Als ich in der Halle aus dem Fahrstuhl trat, hörte ich eine
aufgeregte Stimme. »Da ist er. Er hat nach der 1940 gefragt!«
Ich sah in die Richtung, aus der die Stimme kam. Hinter dem
Tresen stand meine Bekanntschaft von vorhin und zeigte auf
mich. Vier uniformierte Polizisten kamen schon in voller Fahrt
auf mich zu. Ehe ich mich versah, war ich verhaftet.
Sie drehten mir mit perfektem Polizeigriff die Arme auf den
Rücken, und eine Handschelle schloß sich um meine Handgelenke wie ein hungriges Tier. Das Adrenalin pulsierte in meinen
Adern, und ich bewegte meinen Körper mit einem Ruck, fast
wie im Reflex.
»Hochgucken!« rief einer von ihnen, und ich sah einen Gummiknüppel vor mir in der Luft schwingen.
»Wir haben ihn!« sagte ein anderer, und um zu zeigen, daß er
recht hatte, stieß er meinen Oberkörper nach vorn, so daß ich
vornübergebeugt dastand und den Boden anstarrte.
Eine gepreßte Stimme sagte: »Gibst du es zu? Hast du es
getan?«
»Was getan? Nach der 1940 gefragt?«
Eine vierte Stimme sagte unwirsch: »So nicht, verdammt noch
mal! Wir buchten ihn ein!«
Von hinten ertönte eine Stimme direkt an meinem Ohr. »Willst

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