Begrabene Hunde schlafen nicht
sie prompt in Haakon VII’s Gate
umgetauft worden.«
»Ich tippe auf Christian Michelsens Gate. Wenn sie denn in
Bergen läge, meine ich.«
»Aber andererseits ist es wohl, wenn man ehrlich ist, die
Schuld des schwedischen Königs, daß Oslo die Hauptstadt ist.«
»Wie meinst du das?«
»Glaubst du nicht, daß Stortingspräsident Christie und all die
anderen redegewandten Kumpane aus dem Vestland die Hauptstadt viel lieber dorthin gelegt hätten, wo sie zur Zeit Håkon
Håkonssons lag?«
»Tja, doch, vielleicht.«
»Aber es versteht sich von selbst, daß es für den schwedischen
König zu weit gewesen wäre, nach Bergen zu fahren, wenn er
sein Protektorat besuchen wollte, und Trondheim lag zu weit im
Norden, versteht sich.«
»Versteht sich.«
»Also fiel die Wahl auf diesen Ort südlich von Eidsvoll, wo es
einen brauchbaren Hafen gab, der Bergen in bezug auf die
Einwohnerzahl allerdings erst um 1850 überholte.«
»So wie du redest, verstehe ich nicht, wie du es hier all die
Jahre ausgehalten hast.«
Der Ober kam mit meinem Essen, und Asbjørn Hellesø dozierte weiter. »Oslo wird nie etwas anderes sein als eine Kleinstadt.
Verglichen mit anderen nordeuropäischen Hauptstädten ist es in
jeder Hinsicht provinziell. Das siehst du an der Beziehung zur
nächstgrößten Stadt des Landes.«
»Hm?«
»Schmeckt’s?«
»Mmhm.«
»Ich meine – wenn du von Århus nach Kopenhagen kommst,
bist du Bauer in der Stadt. Fährst du von Göteborg nach Stockholm, könntest du ebensogut aus Lappland kommen, so hoch
schätzt man dich.«
»Aha? Und weiter?«
»Aber wenn du dich von Bergen nach Oslo bewegst, dann
kommst du irgendwie von einem anderen Kontinent, aus einer
ganz anderen Welt, aus einer anderen Stadt. Kein Bergenser ist
jemals in Oslo ein Bauer in der Stadt gewesen!«
»Ach nein? Ich hätte dir ein paar zeigen können, als die
Bergenser Erstligisten das letzte Mal im Endspiel waren.«
»Was ich meine, Varg, ist folgendes: Wo Oslo zusammengedrängt tief in einer Bucht voll Brackwasser liegt, da liegt Bergen
und badet im Ozean.«
»Womit ich wieder wäre, wo ich angefangen hatte, Asbjørn.
Wie in aller Welt hältst du es hier aus?«
Er lächelte das gleiche schmierige Lächeln, mit dem er 65 den
jungen Lange-Anhängern begegnet war. »Wovon ich rede,
Varg, ist nur die Oberfläche, die anständige Fassade, das sind
die wohl formulierten Festreden, die Musikgesellschaft Harmonie – dem Nationalen seine Bühne und so weiter. Der Firnis.
Aber die Macht, Varg, die sitzt auch hier. Auf den Korridoren
des Stortings, im Regierungsviertel, in den Hauptfilialen der
großen Banken und Versicherungsgesellschaften, bei den nationalen Konzernen – und den internationalen. In der Akersgate
und auf Marienlyst, im Fußballverband und im Nobelpreiskomitee – alles, was nach Macht schmeckt, findest du hier. Und wo
die Macht ist, ist auch das Geld.«
»Und wo das Geld ist, da gehörst du hin?«
Er lächelte unvermittelt, über alle Maßen zufrieden mit sich
selbst.
»Du hast einen weiten Weg hinter dir, von Hanoi bis zur
noblen Huk Aveny.«
»Und du – von Saigon bis Sandviken?«
Ich hob das Rotweinglas und nippte wieder an dem sonnenvollen Traubensaft. »In welchem Stadtteil wohnst du übrigens?«
»Ich habe eine Wohnung im Skovvei, gleich bei der Bygdøy
Allé.«
»Hört sich mondäner an als Fjellveien. Hast du Familie?«
fragte ich, als hätte ich die Hintergrundinformation der Reinigungsangestellten vergessen.
Einen Augenblick lang sah er genauso heimatlos aus, wie es
sich für einen Bergenser aus der Bygdøy Allé gehörte. »Nein,
habe ich nicht.«
»Nicht genug Geld zu machen mit der Ehe, Asbjørn?«
Er sog den Boden des Cognacglases leer. »Ich habe wohl nie
die Richtige getrotten, sagt man nicht so? – Ich hatte nie Zeit.«
Mit einem kräftigen Ruck zog er sich wieder aus dem Morast,
hob die Arme und ließ ein polterndes Lachen heranrollen. »Aber
ich habe genug Geld, um mir die Schönsten zu kauten, vom
obersten Regal in der Menagerie.« Er senkte die Stimme.
»Wenn du dich auf dem Markt mal umschauen willst, kann ich
dir eine Telefonnummer geben.«
Ich schüttelte den Kopf, schob den Teller eine Idee zur Seite
und leerte das Rotweinglas. »Ich bekomme, was ich brauche,
ohne dafür zu bezahlen.«
»Oho – hört ihn euch an! Kaffee, avec? «
»Ja, bitte, wenn du schon …«
Er sah auf die Uhr. »Welche Art Aufträge übernimmst du
eigentlich, Varg? Ehemänner auf Abwegen, treulose Diener in
Weitere Kostenlose Bücher