Begrabene Hunde schlafen nicht
perfekter als der Herr Rechtsanwalt, wenn er
immer noch so sprach, wie ich es aus der Studienzeit in Erinnerung hatte, mit Schaumkronen auf allen ›s‹ und einem
kabbeligen Gegenwind bei jedem ›m‹.
Das Büro lag in einer der Seitenstraßen der Stortingsgate. Das
Restaurant im Erdgeschoß zeichnete sich durch ein rotbraunes
Ambiente, ein italienisches Menü und schummrige Beleuchtung
aus. Ich fand Asbjørn Hellesø, wo sie gesagt hatte: ganz hinten
in einer Ecke des Kellers, über einem rotweiß karierten Tischtuch und einer auf eine Chiantiflasche im Bastrock gepflanzten
Kerze. Vor ihm standen Kaffee und Cognac, und in der Hand
hielt er die neue Ausgabe der Wirtschaftstageszeitung.
Ich hatte keine Schwierigkeiten, ihn wiederzuerkennen, obwohl uns so einige Kilo von 1965 trennten, jedenfalls auf seiner
Seite des Tisches. Die beweglichen, buschigen Augenbrauen,
die immer auf- und abhüpften wie bei einem Stummfilmschurken, die knollige Nase, das unordentliche Haar, das sich in
einem unzähmbaren Wirbel in der Mitte sammelte, und der
unstete Blick hinter den dicken Brillengläsern – alles war
genauso wie damals, als wir Seite an Seite gingen, jeder ein
Ende des Banners tragend, auf dem NEIN ZUR AMERIKANISCHEN INTERVENTION IN VIETNAM stand. Der Zahn der
Zeit hatte bei ihm Narben hinterlassen wie bei uns allen. Er war
weder hübscher noch häßlicher geworden, nur älter. Und jemand
hatte Salz und Pfeffer über sein Haar gestreut.
Deutlich unterschied er sich in seiner Kleidung von damals.
Den Parka und die abgewetzten Jeans hatte er gegen einen
doppelt geknöpften Anzug eingetauscht – vielleicht ein wenig
zu zugeknöpft – und einen Seidenschlips, in dem man sich
spiegeln konnte, wenn man sich gern in Blaugrau sah. Eine
maßgeschneiderte Zigarette im Mundwinkel unterstrich das
Flair von Wohlbehagen und Eleganz, hohen Honoraren und
wohlkomponierten Menüs.
Ich klopfte vorsichtig an die Glasglocke, unter die er sich
gesetzt hatte, und gab mich dadurch zu erkennen, daß ich beim
Dialekt ein wenig dicker auftrug. »Mensch, issen das nich’
Asbjørn Hellesø, der da drüben sitzt?«
Er sah auf und blinzelte. »Nein, der ist tot.« Nach ein paar
kurzen Sekunden verzweifelten Blätterns im Archiv seines
Gedächtnisses kam die richtige Karte hervor. »Varg?!«
Ich nickte. »Long time no …«
»Mensch, setz dich doch! Was führt dich in die Hauptstadt?«
»Ein Auftrag.«
»Ja – äh, kann ich dir was anbieten? Kaffee? Cognac?«
»Ja, gern.«
»Hast du gegessen?«
»Nein, ehrlich gesagt …«
Er ruderte mit den Armen zum Zeichen für den Ober, daß er
die Karte sehen wolle. Sie kam, bevor er den Arm wieder unten
hatte.
Während ich das Angebot studierte, fuhr er fort. Das lockere
Lachen und der jungenhafte Charme waren geblieben. Nicht
einmal das Verfassungsgericht hatte sie ihm wegpolieren
können. »Hab’ ich nicht irgendwo gehört, hähä, daß du so ’ne
Art Detektivbüro hast – da drüben?«
»Haben ist gut. Ich bin das Büro.«
Er schmunzelte und schob seine Brille zurecht. »Hab’ ich nicht
auch irgendwo gehört, daß du vor ein paar Jahren einen Kollegen von mir hinter Gitter gebracht hast?«
»Das kann schon stimmen, wenn du …« Ich unterließ es, den
Namen zu nennen, da ich tatsächlich bei mindestens zweien
daran beteiligt gewesen war.
»Neidisch, weil du nie dein Studium beendet hast?« schmunzelte er weiter.
»Aber das hast du. Und bist hier geblieben.«
Der Ober kam, um zu fragen, ob ich gewählt hätte. Ich bestellte eine Portion Tagliatelle mit Käsesoße, und Asbjørn Hellesø
gab eine halbe Flasche Rotwein aus. »Vom Besten, Herrmannsen. Mein Freund ist gerade aus der Einöde zurückgekehrt.«
Er zwinkerte mir zu. »Die großen Bestellungen laufen nämlich
hier, weißt du.«
Der Ober kam mit dem Rotwein und einem geräumigen Glas.
Er schenkte ein, ich kostete und nickte, und er füllte das Glas.
Der Wein war rund wie eine Russin, reif wie eine Madonna
und ebenso jungfräulich wie eine Kabarettsängerin aus Sizilien.
Asbjørn Hellesø nickte zufrieden über meinen Gesichtsausdruck.
Ich nickte zurück. »Und dir gefällt’s hier in der Stadt?«
Er zwinkerte mir mit schmalen Augen zu. »Oslo ist keine
Stadt, sondern ein Zustand. Wo sonst in der Welt würden sie
ihre Hauptstraße nach einem Regenten des Nachbarlandes
benennen und den Namen beibehalten, nachdem das Land
unabhängig geworden ist? Glaubst du, das wäre in Bergen
möglich gewesen? Da wäre
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