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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Schulden beglichen, und im Himmel fragte niemand
nach den Zinsen.
Vielleicht war es wahr, daß das Leben die Zeit war, um seine
Rechnungen zu bezahlen – und der Tod war die letzte Rate.
Ich hatte ihn nur knapp einen Tag gekannt, und er hatte mich
genervt, aber auch verwirrt. Jetzt würde er mir nicht einmal
mein Honorar bezahlen.
Trotzdem empfand ich eine Art Verpflichtung ihm gegenüber,
wie bei den meisten Menschen, die zu mir kamen. Eine Art
abgetragene Loyalität, ein Erbe aus meiner Zeit beim Jugendamt.
Ich überquerte wieder die Akersgate an der Vaterlands Bru,
aber diesmal aus eigenem Antrieb.
Links von mir funkelte das Oslo Plaza wie ein gigantisches in
den Boden gepflanztes Prisma, eine Art Wegweiser in der
Dunkelheit. Nichts deutete darauf hin, daß dort vor kaum sechs
Stunden ein Mensch in den Tod gestürzt war. Der Piccolo auf
der Spitze trug keinen Trauerflor am Arm.
Ich durchquerte das marmorierte Einkaufszentrum Oslo City.
Die Beleuchtung war grell und giftig wie eine halbherzige
Dancefloor-Show, und die Ansammlung rastloser Jugendlicher,
hier in der Mehrzahl Norweger, war auffallend. Nichtsdestotrotz
hatte es sich als deutlich erfolgreicher erwiesen als der Konkurrent auf der anderen Straßenseite, jedenfalls was die Anzahl von
Läden und Lokalen betraf.
Auf Rolltreppen und in Aufzügen standen Menschen dicht
gedrängt, unterwegs, um verspätete Einkäufe zu erledigen.
Ich fühlte mich wie ein Steinbeißer in einem Heringsschwarm,
mit schwerer grauer Haut, Lachspest im Blut und einem
abgebissenen Angelhaken in der Kehle.
Jetzt mußte ich es mir eingestehen: Der Tod war mein Wappenzeichen. Er folgte mir überallhin. Es hatte keinen Sinn, sich
davonzuschleichen.
Einen Augenblick blieb ich wie in Zement gegossen stehen.
Ein großer, kräftiger Mann bahnte sich den Weg durch die
Menschenmenge, gegen den Strom und direkt auf mich zu. Es
war …
Nein, es war nicht.
… Svein Grorud. Der Mann ging vorbei, ohne einen Blick auf
mich zu werfen. Von nahem sah ich es selbst: Sie hatten nur die
Größe gemeinsam. Dennoch fühlte ich, wie meine Augen sich
verengten und mein Bauch sich verkrampfte.
Svein Grorud. Ich würde ihn finden!
Ich fühlte mich ziemlich sicher in der Annahme, daß er mehr
mit Mons Vassendens Tod zu tun hatte, als die Polizei willens
war zuzugeben.
Und es hätte mich nicht im geringsten überrascht, wenn er
auch einiges mit P. E. Janssons Sturz aus der Höhe zu tun
gehabt hätte.
Einer von denen, die ihn angerufen hatten, war Asbjørn
Hellesø, der Rechtsanwalt. Vielleicht war es an der Zeit, daß alte
Freunde sich wiedertrafen.
17
    Alles verändert sich in dieser verwirrendsten aller Welten. Was
früher Putzfrau hieß, nennt sich jetzt Raumpflegerin, und es ist
nur eine Frage der Zeit, wann die Bezeichnung Umweltkonsulent sein wird.
    Die Raumpflegerin, die auf dem Korridor vor Asbjørn Hellesøs Büro die gute Tat des Tages vollbrachte, ähnelte denn auch
zum Verwechseln einer Putzfrau aus meiner Bergenser Kindheit: mit knielanger Schürze, ein Tuch wie ein Turban um die
Haare gebunden und der Plapperkasten in bester Ordnung.
    Der einzige Unterschied war vielleicht, daß sie pfirsichfarbene
Haut hatte, aus Thailand importiert war und wahrscheinlich zu
Hause ein Hochschulexamen in höherer Odontologie abgelegt
hatte, um sich für eine Stellung wie diese hierzulande zu
qualifizieren.
    »Sie sind schon gegangen«, informierte sie mich, als sie sah,
wie ich vergeblich an die verschlossene Tür von Hellesøs Vorzimmer klopfte. Der Korridor war einer der edleren Sorte, mit
marmorierten Halbsäulen in den Ecken, dunkel lackiertem
Eichenpaneel bis auf Brusthöhe und Firmenschildern in graviertem Messing. Das Büro von Rechtsanwalt ASBJØRN HELLESØ, Mitglied der norwegischen Anwaltskammer, lag am Ende
des Korridors, und ich hoffte, daß er noch nicht gegangen war.
Dem Schild zufolge hatte er mehrere Kompagnons, weibliche
wie männliche.
»Ich müßte unbedingt mit Asbjørn Hellesø sprechen.«
    »Ist es wichtig?« fragte die Reinigungsangestellte, als sei sie
seine Sekretärin.
»Ja, sehr«, sagte ich und sah sie ernst an.
»Sie finden ihn sicher im Keller des Restaurants im Erdgeschoß. Er ißt immer dort. Er ist Junggeselle, wissen Sie?«
Das wußte ich nicht, tat aber so, als sei ich mit Asbjørn
Hellesøs Lebenssituation völlig vertraut. Als ich ihr für die Hilfe
dankte, fiel mir plötzlich auf, daß sie ein perfektes Norwegisch
sprach – um vieles

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