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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Augen.
    »Torleif!« Anne-Kristine Bergsjø kam ein Stück vom Stuhl
hoch, und Torleif Pedersen packte mich hart am Oberarm, bevor
ich umkippen konnte.
Seine Stimme war jetzt milder. »Na komm, Veum. Setz dich.«
    Ich setzte mich schwer in denselben Sessel, in dem ich schon
einmal gesessen hatte.
Ein Gefühl von Hilfslosigkeit erfüllte mich. Mons Vassenden
– tot? Ich hörte seine Stimme auf der langen, monotonen
Zugfahrt übers Fjell, seine Lebensgeschichte, seine Frauen,
seine Kinder, sein Geld. Urplötzlich sah ich ihn vor mir, hinter
der Fensterscheibe des Zuges, die Hand zum Abschied erhoben,
während er langsam in den Tunnel unter Oslo gezogen wurde,
auf eine Reise, die ihn über den Styx führte, mit Charon als
Schaffner.
»Aber ich – ich habe ihn zum Zug gebracht. Ich bin durch alle
Waggons gegangen. Ich konnte niemanden entdecken, der …«
Sie sah mich aufmerksam an. »Er war deprimiert, oder?«
»Da nicht mehr!«
»Dem Polizeibeamten in Ål zufolge, der die einleitende Untersuchung vornahm, gab es nichts an seinem Tod, was auf eine
kriminelle Handlung hindeutete.«
»Nein? Aber wie …?«
»Zwischen Oslo und Drammen sind die Toiletten abgeschlossen. Der Tote wurde hinter Hønefoss entdeckt. Die anderen
Passagiere wunderten sich, daß so lange besetzt war. Als der
Schaffner aufschloß, fand er ihn. Er hatte sich an seinem Schlips
erhängt.«
»Ein verschlossener Raum«, murmelte Torleif Pedersen.
»Den jeder mit einem Schraubenschlüssel öffnen und verschließen kann!« sagte ich. »Aber …« Ich beugte mich schwer
nach vorn. Der Raum drehte sich um mich, und mir war übel.
Anne-Kristine Bergsjø sah mich an. »An was denkst du?«
»Marit Johansen hat erzählt … Svein Grorud war gestern
vormittag mehrere Stunde nicht im Büro. Er kam erst gegen halb
zwei zurück. Er kann nach Lysaker gefahren, dort eingestiegen
und bis Hokksund oder Vikersund mitgefahren sein. Und danach
…«
»Und danach was, Veum? Es gab nichts, was darauf hindeutete, daß etwas …«
»Ihr werdet doch auf jeden Fall eine gründliche Spurensicherung durchführen, oder – gerade jetzt, wegen dieser neuen
Verbindung?«
»Doch, vielleicht. Wahrscheinlich. Wenn der Waggon nicht in
der Zwischenzeit gereinigt worden ist. Aber ich habe dich in
einem Gedanken unterbrochen.«
»Na ja. Hinterher kann er ein Taxi nach Drammen genommen
haben und den Lokalzug zurück nach Oslo.«
»Aber warum?«
»Ein neuer Abschnitt in seiner Personalakte! Ein Signal für
alle anderen in derselben Situation: daß es sich keinesfalls lohnt
– zu spät zu zahlen.«
»Aber er hatte doch bezahlt! Das hast du doch selbst erzählt.«
»Nicht die Zinsen. Und die Zinsen sind fast das Wichtigste in
diesen Kreisen. Da liegt der Verdienst.«
»Ja gut, aber …«
»Ihr habt Grorud noch nicht erwischt?«
»Nein.« In ironischem Tonfall fügte sie hinzu: »Möchtest du
informiert werden, wenn wir ihn haben?«
»Ich könnte mir gut vorstellen, was ich ihn fragen würde, ja –
wenn ihn jemand währenddessen festhielte.«
»Ich glaube nicht, daß du irgend jemandem Fragen stellen
wirst, Veum. Vassenden starb außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs. Wenn sich jemand der Sache annimmt, dann wohl
die Kripo, denke ich.«
»Aber eine gewisse Zusammenarbeit wird es doch wohl
geben?«
»Das solltest du nicht ausschließen, Veum. Nichts ist unmöglich.« Sie dämpfte die Ironie einen Deut. »Fühlst du dich fit
genug, um zu gehen?«
»Danke der Nachfrage. Ich glaube schon.«
Sie begleitete mich zur Tür. »Das mit Vassenden tut mir leid,
Veum. Ich merke, daß es dir nahegeht. Sollen wir dir einen
Wagen bestellen?«
»Nein danke. Ich glaube, ein bißchen frische Luft wird mir nur
guttun.« Ich nickte Torleif Pedersen zu. »Viel Glück in Brummundal!« Zu Anne-Kristine Bergsjø sagte ich: »Und vergiß
nicht, Svein Grorud von mir zu grüßen. Schenk ihm ein Veilchen.«
Dann ging ich hinaus.
Die große Eingangshalle war so gut wie leer. Es standen keine
Ausländer mehr in der Schlange vor der Schranke, um nach dem
Weg zur Fremdenpolizei zu fragen. Für heute waren die Grenzen geschlossen.
Die Ausgangstür war schwer aufzuschieben, als wollten sie am
liebsten, daß ich blieb. Ich ging den langen Gang entlang in
Richtung Grønlandsleiret, wo sich die ältesten Stadtteile von
Oslo in einem nächtlichen Panorama vor meinem Blick ausbreiteten.
Ich dachte an Mons Vassenden.
Für manche kam der Tod wie ein wirklicher Befreier. Für ihn
hatte er alle

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