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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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mir sagte irgend jemand: »Wir sind falsch gelaufen,
alle!«
»Was?!« stöhnte der Nebenmann. »Sie müssen die Strecke
umgeleitet haben.«
»Von gestern auf heute?«
»Vielleicht gab es einen Unfall.«
Einen Unfall?
Ich unterbrach abrupt den Laufrhythmus. Wo war BackerSteenberg?
Wir waren jetzt in der Fußgängerzone der Karl Johan. Die
Laufstrecke war mit Plastikband abgesperrt, und entlang der
Strecke standen dicht gedrängt Menschen, deren Rufe von
Anfeuern bis zum Spott reichten.
Da!
Waren das nicht Backer-Steenbergs kurzer weißer Pony und
sein gelbes Hemd, oben beim U-Bahn-Schild am Egertorg? Das
war er doch, oder …?
Ich erhöhte das Tempo am Storting vorbei, wo Christian
Krogh sehr gesetzt auf seinem Sockel saß und einen friedlichen
Nachmittagsabsinth genoß, während die Horden an ihm vorbeihasteten, auf der Jagd nach verlorenen Horizonten.
Vor dem Grand Hotel war ich nahe genug dran, um sicher sein
zu können. Er war es tatsächlich. Mit einem erleichterten Seufzer versuchte ich, meinen Rhythmus wiederzufinden. Aber ich
hatte ihn verloren.
Während ich mehr als genug damit zu tun hatte, mich wieder
einzulaufen, hatten sie hinter mir Kraft genug, um hochgestochene Gespräche zu führen. »Sieh mal, das Kilometerschild!
Vergleich die Uhr! Wir sind zu kurz gelaufen! Kapierst du das?
Die ganze Strecke von Alta nach Oslo, und dann lassen sie uns
zu kurz laufen!«
»Vielleicht haben sie vergessen, es zu korrigieren«, sagte der
andere ohne die geringste Überzeugung in der Stimme. »Immerhin hatten wir die Reise.«
»Die Reise? Die Reise?«
Ich lief an die Seite und ließ sie vorbei. Ich hatte den Höhepunkt meiner Leistungsfähigkeit in jeder Hinsicht überschritten.
Noch immer hatte ich Backer-Steenberg im Blick. Über den
Rådhusplass und die Rådhusgate hinauf vergrößerte er allerdings den Abstand, und als wir auf das Gebiet der Festung
Akershus kamen, konnte ich ihn zum erstenmal nicht mehr
sehen.
Ich hatte starke Schmerzen in den Muskeln zwischen Brust
und Oberarmen und an der Hinterseite der Oberschenkel. Der
Klassenkamerad kam wieder an meine Seite und glitt leicht
vorbei.
»Probleme, Varg?« fragte er im Vorbeilaufen.
Ich hatte das Stadium erreicht, in dem ich nicht mehr antworten konnte, also verhielt ich mich still, schüttelte aber vorsichtshalber den Kopf, um nicht zu verraten, daß ich kurz davor war
aufzugeben. Danach sah ich ihn erst in Bislett wieder, nach dem
Lauf.
Bei der Hornbrygge dachte ich: Jetzt breche ich aus. Das tut
einfach zu weh. Von hier ist es der kürzeste Weg nach Bislett.
Aber vorn vor dem Westbahnhof sah ich noch BackerSteenbergs weißen Schopf schimmern. Noch immer hatte ich die
stille Hoffnung, daß auch er Probleme bekommen könnte, daß
ich den Auftrag, den ich mir im Grunde ja selbst erteilt hatte,
noch irgendwie erfüllen könnte: während des Laufs BackerSteenbergs Wachhund zu sein und aufzupassen, daß er sicher ins
Ziel kam.
Aber wie es aussah, hatte ich mehr als genug damit zu tun,
selbst sicher ins Ziel zu kommen.
Wir liefen am Kai um die Pipervik herum durch Aker Brygge
und auf den Filipstadkai.
Hinter Filipstad folgte die Trasse dem Fußweg am Frognerkil.
Ich war wieder in einem regelmäßigen Rhythmus, deutlich
langsamer als vorher, aber ich konnte mich damit trösten, daß es
vielen noch schlechter ging. Wir passierten die 30 Kilometer,
und ein paar Läufer brachen zusammen. Einige lagen mit Beinkrämpfen am Wegrand, andere standen verzweifelt an Laternenpfähle geklammert, einer war stehengeblieben und klapperte mit
den Zähnen, eingepackt in eine graue Wolldecke vom ErsteHilfe-Wagen, der das Rennen begleitete.
Wie um zu verdeutlichen, daß jetzt die kritische Phase des
Laufes begonnen hatte, zogen sich aus der Mündung des
Oslofjords blaugraue Wolken über der Stadt zusammen, als
hätte jemand da unten einen Stöpsel herausgezogen, und als ich
Skarpsno erreichte, begann es zu regnen.
Den Sjølystvei hinauf lief man wie gegen eine Rolltreppe an,
und ich drückte mich eng an den Zaun zur Linken, um so gut
wie möglich geschützt zu sein.
Mit dem Unwetter verschwand auch die letzte Illusion, den
Auftrag erfolgreich ausführen zu können. Krumm gegen den
Wind gebeugt, den Blick schützend zu Boden gerichtet, war ich
vollauf damit beschäftigt, die Böschung nach Vækerø zu erklimmen, wo die Strecke ihren westlichsten Punkt erreichte, bevor
sie den Drammensvei kreuzte und über eine Brücke in den
idyllischen,

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