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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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schon mal was von einer PLAYTIME gehört?«
Sie verdrehte die Augen. »Das soll was ganz Supertolles sein.
Alle reden davon. Warum fragst du?«
»Dieser Bekannte hatte zwei Karten, für morgen abend.«
»Morgen abend bin ich besetzt«, sagte sie schnell.
»Aber ich meinte …«
»Von jemandem, der nicht mehr frei ist«, fügte sie mit einem
bitteren Unterton hinzu.
»Ach ja?«
»Schockiert dich das?«
»Nein. Und ich würde niemals für seine Frau arbeiten, wenn
du verstehst, was ich meine.«
»Wer hat denn gesagt, daß es ein Er ist?«
Ich sah sie verwundert an.
Sie lachte ein plötzliches, abruptes Lachen. »Doch, doch!
Keine Sorge.«
Sie ließ meine Hand los und schob sie weg. »Komm her. Zieh
deinen Stuhl näher ran. Dann hören wir uns … Jetzt wird die
Musik jedenfalls lustiger. Das Forellen-Quintett. Das sind
Fische.«
»Ich weiß.«
Ich tat, wie sie mich geheißen, und rückte den Stuhl näher. Sie
beugte sich vor, zum Zeichen, daß ich meinen Arm um ihre
Schulter legen sollte. Dann lehnte sie sich zurück und sah
verträumt in die Glut. »Jetzt können wir spielen, wir wären seit
zwanzig Jahren verheiratet.«
»Glaubst du, wir würden dann so dasitzen?«
»Ich habe spielen gesagt, oder?«
In einem silbernen Schwarm schwammen die Forellen in unsere Gehörgänge. Spielerisch springend hinterließen sie Ringe in
unseren stillen Gedanken, kleine Wellen am Übergang zwischen
Lippen und Haut.
Ich spürte die Schwere ihres Körpers in der Achselhöhle. Ihre
Wärme wurde meine. Ihr Haar duftete mild, eine Mischung aus
Fichtennadeln und Skiwachs.
Ihr Gesicht war breit, die Augen standen weit auseinander.
Und ihr Blick kam von weit, weit am anderen Ende der Loipe.
Als die Tassen und die Gläser leer waren und die letzte Forelle
längst den Wasserspiegel des CD-Players durchbrochen hatte,
wandte sie mir Gesicht und Mund zu. Wie eine gefällte Fichte
im Wald beugte ich mich zu ihr hinunter – und küßte sie.
Ihre Lippen hatten einen Kupfergeschmack von Herbstsonne
und Likör, leicht klebrig. Ihre Zunge war klein und schmal,
flüchtig wie ein Federball.
Sie legte die Hände um meinen Nacken und hielt mich mit
dünnen Fingern fest. Ich strich ihr über den Rücken, vorsichtig
und väterlich. Aber etwas durchschnitt mich von innen; dieser
Kuß war so neu und nackt, daß er mich offen und verletzbar
machte.
Sie krabbelte über die Lehnen der Stühle und lehnte sich an
mich. Dann hob sie den Kopt und sah mich an. »Kommst du mit
– rüber?«
Ich erwiderte ihren Blick, lange. Aus dem Vogelnest zwischen
meinen Beinen reckte das Kuckucksjunge seinen Hals.
»Nein«, flüsterte ich. »Leider.«
»Hast du Angst vor etwas?«
»Ich glaube nicht, daß es klug ist. Wir könnten …«
»Und ich dachte immer, ihr 68er wärt so freizügig!«
»Ich bin für einen 68er viel zu alt. Meine ersten Schläge auf
die Finger bekam ich um 58, und die sexuelle Revolution war
etwas, worüber wir im Dagblad lasen, wo sie vorzugsweise in
den Kronleuchtern stattfinden sollte.«
»Und warum hast du mich dann geküßt?« sagte sie beleidigt,
machte sich los und stand auf.
»Dich zu küssen, Marit, war meine Art, eine Briefmarke auf
den Brief zu kleben, den ich dir vielleicht irgendwann einmal
schicken werde.«
»Du könntest dich nicht etwas klarer ausdrücken?«
»Ich …«
»Vergiß es!« Sie ging zum Tisch vor dem Ofen. »Räumst du
auf? Ich geh’ ins Bett. Gute Nacht.«
»Gute … Nacht.«
Laut schloß sie die Tür hinter sich.
Ich saß da und starrte die geschlossene Tür an.
Sie hatte recht. Ich war zu weit gegangen.
Ein Kuß ist die intimste aller Zärtlichkeiten. Die Geschlechtsteile zusammenbringen kann jedes Tier. Der Kuß ist das Adelszeichen des Menschen.
Hinterher ist alles gleichgültig. Wenn man eine Frau erst
geküßt hat, braucht man nicht mit ihr zu schlafen. Man trägt
sowieso während des restlichen Turniers ihr Banner an der
Rüstung.
Ich räumte auf und richtete mir das Sofa her.
Dann ging ich ins Bett. Nichts geschah. Absolut nichts.
So gesehen war es die perfekte Aufladung für den Oslo-Marathon.
30
    An der Startlinie war alles wie gewohnt. Alle Krankenhäuser
des Landes, von Kirkenes bis Kristiansand, hatten für das
Wochenende geschlossen. Die Patienten waren hier. Hier
standen sie mit ihren Knieverletzungen und Rückenleiden,
Plattfüßen und Magengeschwüren, Muskelschmerzen und
Angstneurosen.
    Die Straßen um Bislett waren voller Menschen in Laufkleidung, die alle möglichen

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