Begrabene Hunde schlafen nicht
zugewachsenen Nedre Skogvei einbog.
Der Regenschauer jagte weiter. Die Tropfen fielen in größeren
Abständen. Dann war es vorbei. Auf den Straßen zwischen den
Villen von Bæstum dampfte der Asphalt, und bei Olsens Enkes
Gärtnerei, wo zu unserer Aufmunterung ein Hornorchester spielte, kam die Sonne durch große blaue Fenster in der Wolkendecke wieder zum Vorschein.
Das Ende eines Marathonlaufs ist eine einsame Sache. Der
einzige, der dich begleitet, bist du selbst, und da ist nicht viel
Trost zu holen.
Die Muskeln schmerzen. Die Lungen rasseln. Die Fußsohlen
brennen, und man hat Blasen an den besonders beanspruchten
Stellen. Man bewegt sich mechanisch: Es wird immer schwerer,
die Füße zu heben. Man spürt einen Widerstand in den Gelenken, und es schmerzt an Stellen, von denen man nie gedacht
hätte, daß sie schmerzen könnten.
Aus der Autoschlange auf dem Drammensvei starren hochmütige Autofahrer mit ungeduldigen Blicken, weil man daran beteiligt war, den Verkehr lahmzulegen. In der Bygdøy Allé kam
man an Leuten vorbei, die ihre Hunde spazierenführten, und
man dachte unwillkürlich: Ein Hund sollte man sein … In der
Josefines Gate, zum drittenmal, beobachtet man, daß andere
Läufer ihre Fans dabeihaben, einige feuern einen sogar mit an,
wohl weil man aussieht, als könne man es brauchen.
Dann ist man auf dem letzten Kilometer. Man kann sich
gerade noch vorwärts schleppen. Weibliche Läufer und Konkurrenten um die Siebzig laufen vorbei: Auf dem Bürgersteig
kriecht eine Schnecke, und man merkt, daß es einem schwerfällt, sie einzuholen. Man hört die Lautsprecher von Bislett wie
verlockende Jahrmarktsmusik, aber man schafft kaum noch die
Kurve in die Bislettgate, würde am liebsten weiter-, weiter-,
weiterlaufen, bis man daliegt wie eine exakte Kopie des ersten
Marathonläufers aller Zeiten, gestrandet in Sankt Hanshaugen.
Steifbeinig klappert man durch das Marathontor. Vor dem
inneren Auge sieht man die Fernsehübertragungen von olympischen Läufen und anderen großen Meisterschaften, das Publikum, das sich mit einem überwältigenden Jubelgeschrei erhebt,
wenn der Gewinner in die Zielgerade einläuft. Niemand erhebt
sich und jubelt, wenn man ankommt, die meisten wenden einem
den Rücken zu und unterhalten sich, essen ihre Bananen und
Schokoladen weiter oder pflegen ihre Wunden und Blasen. Man
umrundet die Nordkurve. Ein Fotograf schießt ein Foto, von
allen, die ins Ziel kommen, aber es gelingt kein Lächeln, man
stolpert nur an ihm vorbei.
Dann steigt der Jubel, im Inneren. Die letzten Meter … Mit
großer Anstrengung hebt man die Arme über den Kopf, und jetzt
lächelt man, wenn man es ein Lächeln nennen kann. Alle
Stoppuhren der Welt stehen still. Man ist am Ziel. Man ist am
Ziel, am Ziel, am Ziel.
Vornübergebeugt steht man da und schnauft.
Es ist ein Wunder. Der Körper bewegt sich nicht mehr. Man
steht still.
Ich richtete mich auf, sah mich um, hielt nach Backer-Stehenberg Ausschau. Ich sah ihn nicht. Nirgends.
Ich stakste zur Südkurve, wo ich Bananen, Schokolade und
etwas zu trinken bekam.
Ich suchte und suchte, fand aber immer noch keinen BackerSteenberg.
Der Klassenkamerad kam herüber und lehnte sich schwer an
meine Schulter. »Persönlicher Rekord, Varg. Bin zum erstenmal
unter 3.20 gelaufen.«
»Wir sind zu kurz gelaufen«, sagte ich. »Ein bis zwei Kilometer zu kurz.«
Die Freude in seinem Blick erlosch. »Sicher?«
»Völlig.« Ich hob meine eigene Uhr und zeigte ihm die Endzeit. »Hier steht 3.21.16, aber meine Beine sagen mir, daß es
eher 3.30 war. Bei der Geschwindigkeit auf den letzten Kilometern kann ich froh sein, wenn es darunter war.«
»Ohh.«
Nichts ist schlimmer, als einem Marathonläufer mit gerade
erkämpftem persönlichem Rekord zu erzählen, daß die
Laufstrecke zu kurz gewesen sei und sein persönlicher Rekord
nie anerkannt würde. Man könnte ihm erzählen, daß seine alte
Mutter tot sei, daß seine Frau Selbstmord begangen habe und
sein Haus abgebrannt sei, ohne daß er reagieren würde. Aber das
sollte man ihm nicht sagen. Nicht zu diesem Zeitpunkt und an
diesem Ort.
Ich ging weiter, folgte der Schlange auf der Außenseite der
Bahn. Allmählich fühlte ich mich besser. Ich dehnte und streckte
die Beine, rollte mit Schultern und Nacken, lockerte die Arme
und dehnte die Muskeln noch ein bißchen.
Durch das Tor beim Clubhaus kam ich wieder auf die Bahn.
Dort stand er und wartete. Das kurze weiße Haar war so naß,
daß die
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