Begrabene Hunde schlafen nicht
Kopfhaut durchschimmerte, hellrot wie bei einem
Ferkel.
Er hielt dieselbe Trinkflasche in der Hand wie während des
Lautes, und als er mich entdeckte, hob er die Arme und sagte:
»Da siehst du es, Veum. Gesund und munter! Nichts ist passiert.
Absolut nichts! Du hättest es dir sparen können – aber nein,
eigentlich nicht. Jedenfalls hat es dich ins Ziel gebracht.«
»Ein Sieg für den Sport?« murmelte ich und beugte mich zu
der Plastiktüte mit meinen Trainingssachen hinunter.
»Aber eine Niederlage für den Detektiv! Prost denn, Veum,
und danke für die Begleitung!« Er hob die XL-1-Flasche zu
einem säuerlichen Gruß, setzte sie an den Mund und trank mit
großen, durstigen Schlucken, wie es Marathonläufer eben tun.
Er setzte die Flasche ab, trocknete sich den Mund mit dem
Handrücken – und krümmte sich plötzlich nach vorn. Er war
weiß im Gesicht. »Ojj!«
Die Plastikflasche fiel auf den Betonboden, er preßte die
Hände auf den Bauch und starrte mich erschrocken an, als hätte
ich ihn geschlagen. »Das tu-tut weh!«
Ein Mann mir kurzem, dunklem Haar neben ihm richtete sich
auf und sagte neunmalklug: »Magenkrampf. Du hast zu schnell
getrunken.«
Backer-Steenberg drehte sich halb zu ihm um. »M-magen …
aber das …« Dann krümmte er sich zusammen, fiel vornüber
und rollte ein paar Treppenstufen hinunter, bis er ruhig liegenblieb, im Rücken eines erschöpften Läufers, der mit dem Kopf
zwischen den Knien dasaß und mit leerem Blick in seine offene
Trainingstasche sah.
31
Der Mann mit den kurzen Haaren war schneller als ich. Er war
schon neben Backer-Steenberg auf die Knie gegangen und hatte
ihn auf den Rücken gedreht, als ich bei ihnen anlangte. Er sah zu
mir auf. »Ich bin Arzt. Schnell, einen Krankenwagen.«
Ich starrte ihn eine Sekunde lang an. Dann lief ich zum Zaun
an der inneren Bahn und rief einem Mann in Sanitäteruniform
zu: »Habt ihr einen Krankenwagen hier stehen?«
»Gleich da vorn! Braucht jemand Hilfe?«
»Ja!«
Er war schon auf dem Weg. »Ich hole eine Bahre.«
Ich lief zurück zum Tatort. Backer-Steenberg war aschfahl im
Gesicht, sein Mund schief wie nach einem Schlaganfall, und der
Unterkörper bewegte sich in starken Zuckungen. Der Arzt hatte
seine Jacke schon geöffnet und machte Herzmassage. Das Ohr
an seinem Mund, horchte er auf den Atem.
»Sieht schlecht aus«, murmelte er.
»Die Bahre kommt schon.«
Die Leute begannen zu kapieren, daß etwas passiert war.
Läufer sammelten sich um uns. Jemand kam mit guten Ratschlägen. Aber die meisten blickten auffallend scheu, als löste
dieser Anblick in jedem von ihnen die unangenehme Erinnerung
daran aus, wie plötzlich Dinge geschehen können.
»Ist er bewußtlos?« fragte ich.
»Ja.«
»Weg da! Aus dem Weg!«
Die Sanitäter wurden durchgelassen. Backer-Steenberg wurde
schnell und professionell in eine Wolldecke gewickelt und auf
die Bahre gelegt, während der Arzt ein paar kurze Anweisungen
gab.
Ein Sanitäter sah sich um. »Ist hier jemand, der ihn kennt?«
»Preben Backer-Steenberg«, sagte ich.
»Ist das sein Name?«
»Ja.«
»Backer-Steenberg … Backer-Steenberg …«, summte es in
der Menschenmenge um uns herum.
»Ich fahre mit!« sagte der Arzt, griff seine Sporttasche und
folgte den Sanitätern auf die Bahn und in schnellem Tempo zum
nächsten Tor.
Kaum eine Minute später hörten wir, wie draußen die Sirenen
aufheulten und schnell durch die Thereses Gate in Richtung
Ullevål Sykehus verschwanden.
Ich sah sekundenlang seine Familie vor mir, die dunkelhaarige, etwas zu gut gekleidete Frau und die zwei Kinder, die vor
ein paar Stunden oben in Smestad gestanden und ihn so eifrig
angefeuert hatten. Was für eine Nachricht erwartete sie jetzt,
durch einen unerwarteten Anruf? Wie würde morgen ihr Leben
aussehen?
Die Flasche! dachte ich plötzlich und sah mich suchend um.
Aber ich konnte sie nirgends sehen.
Ich setzte mich schwer auf die Betontreppe. Eine überwältigende Müdigkeit befiel mich, als wäre ich nicht einen Marathon
gelaufen, sondern hundert.
Der Menschenauflauf um mich herum löste sich auf. Unten auf
der Bahn kamen ständig neue Läufer ins Ziel. Man drehte und
streckte sich wie vorher. Der Meinungsaustausch über den
Verlauf des Rennens wurde genauso eifrig geführt wie immer.
Nach zehn Minuten war es, als sei nichts geschehen.
Ich erhob mich, die schwerste Last der Welt im Nacken.
Meine Tätigkeit als Leibwächter bot kaum eine Grundlage für
einen Antrag auf
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