Begrabene Hunde schlafen nicht
mir einzuschenken. Sie ergriff ihr Glas sofort und leerte es halb, ehe ihr aufging, daß das vielleicht nicht ganz die feine Art war; abrupt
stellte sie es wieder hin. Ein blasses Lächeln flog über ihr
Gesicht wie ein flüchtiger Sonnenstrahl.
Sie strich sich mit der Hand über Brust und Bauch. »Das war
damals, als man so aussehen sollte, wie – ich es tue. Wir waren
alle Twiggy-Kopien, und London war voll von uns. Und von
Männern, die uns haben wollten – ich meine, so eben. Fotografen, Modeschöpfer, Schriftsteller. Und für ein Mädchen aus
Norwegen war es kein Zuckerschlecken, so Hals über Kopf in
Swinging London zu landen, das können Sie mir glauben. Sie –
wie war doch gleich Ihr Name?«
»Veum. Varg Veum. Wir sind uns übrigens schon mal begegnet.«
»Ach ja?« sagte sie unbeteiligt; sie schien sich nicht dafür zu
interessieren, wann und unter welchen Umständen. Sie war so
vielen begegnet.
»Zusammen mit Merete Sjøwold.«
»Mit Merete?«
»Du und ich und sie und einer, der Svend Høie hieß. – Erinnerst du dich an ihn?«
»Svend Høie?«
»Ich glaube, ihr wart zusammen – an dem Abend. Jedenfalls
waren Merete und ich es. Im April 1965.«
»Das ist so lange her.«
»Aber an Merete erinnerst du dich?«
»Ja, natürlich.«
»Wann hast du sie zuletzt getroffen?«
»Ich habe sie seit – seit 1987 nicht mehr gesehen. Aber ich
habe niemanden mehr gesehen seit 1987.«
»Ach nein? Dann hast du also auch die Gerüchte nicht gehört,
denen zufolge sie tot sein soll?«
»Merete? Tot?«
»Ja?«
»Nein, das …« Ein plötzlicher Ausdruck von Angst trat auf ihr
Gesicht. »Nein, das hab’ ich nicht gehört. Ich kann mich auch
nicht erinnern, eine Todesanzeige gesehen zu haben.«
»Doch, es gab tatsächlich eine, im Juli 1989.«
»Oh … Dann stimmt es also?«
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.«
»… jetzt verstehe ich nicht ganz …«
»… sagte die Braut am Morgen danach. – Aber vor 1987 hast
du sie getroffen?«
»Jaja. Wir haben Kontakt gehalten, als ich in England war,
und auch danach, als ich zurückkam und sie in Schweden
wohnte.«
»Ja. Habt ihr beide dann vielleicht Thorbjørn Finstad – ich
meine, deinen Mann und Fredrik Loewe miteinander bekannt
gemacht?«
»Ja, das stimmt. Wir haben uns ein paarmal getroffen, in ihrem
Landhaus, außerhalb Stockholms, bei uns in Gol, oder –
irgendwo anders.«
»Ganz privat, mit anderen Worten?«
»… ja.«
»Dein Mann und Fredrik Loewe – hatten sie geschäftlich
miteinander zu tun?«
»Was meinst du damit?«
»Dein Mann hatte doch sehr verschiedene Interessen – und
viele Kontakte, sowohl in Politiker- als auch in Wirtschaftskreisen, oder?«
»Mhm.«
»Loewe war in der Waffenindustrie. Hat dein Mann jemals
davon geredet, da mit einzusteigen?«
»… er sprach so selten über so was.«
Sie saß da und starrte abwesend vor sich hin, so als machte sie
aus reiner Höflichkeit mit mir Konversation.
Ich mußte augenscheinlich stärkere Geschütze auffahren.
»Erzähl mir doch mal geradeheraus, was damals zwischen euch
abgelaufen ist, ich meine, zwischen dir und Pål Helge
Solbakken, 1987.«
»Pål Helge Solbakken? Das war der Fotograf …«
»Ja.«
»Da waren so viele Fotografen.«
»Du meinst …?«
Sie nickte zum Sekretär. »Die Bilder da, das sind nur die
Familienfotos. Oben in meinem Zimmer habe ich die ganzen
Wände voll. Fotos von mir, von 1967 – bis Anfang der siebziger
Jahre. In allen möglichen Posituren und von allen möglichen
Fotografen.«
»Meinst du …?«
»Ich war eine Barbiepuppe, so wie wir Models es gelernt
hatten. Steh so, beug dich so. Lächle so, halt die Hand so. Nimm
da fünf Kilo ab, rasier dich dort, schneid dir das Haar – so.«
Sie griff nach ihrem Glas. Die Hand zitterte. »Zum Schluß
wirst du einfach – verrückt. Du bist nicht mehr du selbst. Du bist
ein Bild auf glänzendem Papier, eine Nummer im Modelkatalog.« Sie strich sich unwillkürlich über die Innenseite ihres
Unterarmes. »Du fängst an, Medikamente zu nehmen. Um
durchzuhalten, um dich aufzuputschen, und dann, um dich
wieder zu beruhigen. Solange du jung und neu im Fach bist, ein
Gesicht, das niemand kennt, stehen die Auftraggeber Schlange.
Aber eines Tages – eines Tages merkst du vielleicht, daß die
Abstände zwischen den Aufträgen größer werden. Das Telefon
klingelt nicht mehr so oft. In der Agentur sehen sie jedesmal an
dir vorbei, wenn du kommst, um zu fragen, ob sie nicht etwas
haben. Und die Männer, die
Weitere Kostenlose Bücher