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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten, es
sei denn, durch einzelne, zentral positionierte Personen.
    Oslo wuchs aus dem Nachmittagsdunst wie eine unregelmäßige Zahnreihe, und das SAS-Hotel, die zwei Türme des Rathauses, das Postgirogebäude und das Oslo Plaza waren die herausragendsten Zähne. Das Rathaus von Schokolade verdreckt, die
anderen mit Resten von Apfelsinenfleisch auf der Emaille, weil
eine goldene Sonne gerade von Südwesten her die Wolkendecke
durchbrach.
    Auf der Aker Brygge hatten die etablierten Stadtstreuner die
Straßencafés eingenommen, mit selbstzufriedenen Brieftaschen
und glattem Grinsen.
    An einem Kiosk aß ich schnell etwas, zwei Würstchen mit Brot und Lompe * , und spülte mit einem alkoholfreien Bier aus
einem Plastikglas nach. Danach fühlte ich mich gestärkt für
einen neuen Vorstoß in die geschützten Gesellschaftsschichten
der Sozialklasse 1, repräsentiert durch einen meiner alten
Freunde.
    Von Aker Brygge aus ging ich an Ruseløkka vorbei zum
Lapsetorg. Dies war das Revier der Schöngeister. Hier wohnten
ältere Schauspieler, nur einen kurzen Fußmarsch vom Nasjonalteater entfernt. Hier lagen die Kunstgalerien, die so exklusiv
waren, daß man seine Visitenkarte vorzeigen mußte, um hineinzukommen. Hier thronten Witwen und Rechtsanwälte; hier
fuhren Diplomaten mit hoher Geschwindigkeit und in schwarzen, verdunkelten Wagen mit CD-Schild vorbei. Hier hatte man
fast das Gefühl, sich nicht aufhalten zu dürfen, ohne seinen
Versicherungsbeitrag bezahlt zu haben.
* Kartoffelfladen.
    Asbjørn Hellesø wohnte auf der rechten Straßenseite, in einem
Wohnblock, Ende des letzten Jahrhunderts gebaut, verziert mit
Erkern und Türmen: ein großer Schritt nach oben für einen
Mittelklasseproletarier aus Marken in Bergen.
    Es wuchs kein Wald mehr im Skovvei, aber in den Vorgärten
blühten die Herbstrosen, als wäre die ganze Straße ein Austragungsort für das diesjährige Dornröschenfest.
    Die Eingangstür war verschlossen. Etwas anderes hatte ich
auch nicht erwartet. Ich klingelte, und kurz darauf erklang seine
Stimme über den Lautsprecher wie bei einem schlechten
Kurzwellenempfang. »Wer ist da?«
    »Hallo, Asbjørn!« Ich sprach mit lauter Stimme. »Hier ist
Varg! Ich dachte, ich sollte mal reinschauen.«
Es grunzte aus der Anlage.
»Hast du Zeit für einen Plausch?«
Wir waren eindeutig nicht auf derselben Frequenz. »Und
worüber?«
»Na ja, über alles und nichts …«
»Ich glaube, ich habe keine …«
»… und über den Fall Finstad.«
Er verstummte. Dann ertönte: »Na gut. Okay! Alter Gauner.«
Im Schloß hatten sie noch eindrucksvollere Treppenhäuser,
aber auch dies hier war nicht ohne. Marmorierte Stufen und
klassische Säulenreihen führten die Stockwerke hinauf, vorbei
an dunkelbraun lackierten Türen mit ovalen goldenen Türschildern – und die allermeisten Nachnamen hatten in der Mitte
einen Bindestrich.
Asbjørn Hellesø trug eine Art Freizeitanzug britischen Stils:
dunkelgrüne Cordhose, gemusterte Higginsjacke, kleinkariertes,
hellbraunes Hemd und einen Schlips mit derben Querstreifen in
Rot, Grün und Grau.
Durch einen langen, dunklen Flur, dessen Wände mit Büchern
bedeckt waren, kamen wir in eine Art Raucherzimmer, nicht
zuletzt nach dem dichten Nebel zu urteilen. Vor dem zugezogenen Fenster stand ein brauner Schreibtisch. Eine ausladende
Stehlampe mit breitem Schirm warf ihr Licht über eine flache,
mit Ochsenhaut bezogene Sitzgarnitur. In einem großen schwarzen Aschenbecher von der Größe einer Bratpfanne lag eine
brennende Zigarre. Neben dem Aschenbecher stand ein niedriges Glas mit Whisky und Eis, und auf dem Boden vor dem
komfortablen Sessel, in dem er gesessen haben mußte, lag ein
imponierender Haufen Zeitungen: norwegische, schwedische,
dänische und britische.
Er öffnete einen mit Teak verkleideten Kühlschrank und füllte
Eiswürfel in ein Glas, griff nach einer Flasche Glenfiddich im
Glasschrank daneben, schenkte ein und sagte: »Einen Whisky,
Varg?«
»Sieht so aus«, sagte ich und nahm das Glas entgegen.
»Setz dich.«
»Danke.«
Das Polster seufzte, als ich mich setzte, wie es klang, vor
allem vor Wohlbehagen.
Ich betrachtete ihn.
Er sah erschöpft aus. Das Haar war zerzaust, der nachlässige
Charme so weit gestreckt, daß er langsam Risse bekam, und
seine Bewegungen hatten etwas Unkoordiniertes, das verriet,
daß es nicht das erste Glas Whisky war, an dem er heute nippte.
Er setzte sich schwer in

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