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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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weiß ich. Aber mir ist gesagt worden, daß er dieses
    Wochenende Hafturlaub hat, und da dachte ich, er sei hier.«
»… Hafturlaub? Thorbjørn? Er kommt nie hierher.«
Ich knetete meinen Nacken. »Könnten wir beide vielleicht
    kurz miteinander sprechen?«
»Worüber?«
»Über Finstad und das, was damals wirklich passiert ist?«
»… wirklich – passiert?« Ich fing an, mich an ihre Pausen zu
    gewöhnen. »… wann, damals?« Entweder streßte es sie, oder sie
hatte getrunken. »W-warte einen Moment!«
Sie zog das Fenster wieder zu und verschwand.
Eine ganze Weile später hörte ich drinnen Schritte. Die Tür
wurde einen Spalt geöffnet. Über eine Sicherheitskette spähte
sie hinaus.
»Was sind Sie? Journalist?«
»Nein. Privatermittler.«
»Nicht von der Po-Polizei also?«
»Nein.«
Sie hatte tatsächlich getrunken. Ein süßer Dunst von gelagertem Portwein umgab sie wie eine Wolke, und sie hatte Schwierigkeiten, den Blick zu konzentrieren. Ihre Augen waren hellbraun: Haselnüsse, die einen allzu zähen Dezember lang in der
Schale gelegen hatten.
»U-und für wen?«
»Wer mich engagiert hat, meinst du?«
»… ja?«
»Ein Mann, den du kaum kennen wirst. Er ist tot.«
»Versuch’s doch mal. Ich kenne viele Tote.«
»Mons Vassenden aus Bergen.«
»Nein. Den kenne ich nicht.« Sie schob die Tür ein Stück
wieder zu, hängte die Sicherheitskette aus und gab mir nach
einem erneuten unauffälligen Blick in Richtung Nachbargrundstück ein Zeichen, daß ich hereinkommen solle.
Dann standen wir in einem dunklen Vorraum mit öligen
Paneelwänden. »Legen Sie doch da vorn ab, und kommen Sie
hier herein … Ein Glas Sh-Sherry?«
»Ja, gern.«
Ich folgte ihr in ein riesiges Wohnzimmer, in hellen Farben
gehalten und mit Panoramafenster zum Fjord. Der Wintergarten
war von braunen, verkrüppelten Pflanzen überwuchert wie nach
einem langen, trockenen Sommer ohne Pflege, und es war lange
her, daß jemand die Fenster geputzt hatte.
»… ich will nur eben …« Ohne weitere Erklärung verließ sie
den Raum.
Ich sah mich im Raum um.
Die Gemälde an den Wänden stellten Landschaften dar, einige
den Fjord vor mir, hellblau an schimmernden Sommerabenden,
mit Menschen in Kleidern aus den 1890er Jahren, die in Ruderbooten unterwegs waren. Andere zeigten das alte Kristiania, die
Industriebebauung am Akerselv, Nachmittagsspaziergänge auf
der Karl Johan, ein Hochfjell irgendwo, von Heide bedeckte
Ebenen vor Bergspitzen, auf denen noch der Schnee des Winters
lag.
Auf einem Sekretär standen mehrere Fotografien, alle
schwarzweiß, von Aud Finstad selbst, vor drei Jahrzehnten, in
der Positur und den Kleidern der sechziger Jahre. Auf einem der
Bilder posierte sie vor der London Bridge, im Minirock, mit
hochgestecktem Haar und vorn flach wie ein Bügelbrett. Auf
einer Nahaufnahme sah man ihre Züge deutlicher: ein etwas zu
gezwungenes Lächeln auf einem etwas zu starren Gesicht, auch
dieses deutlich geprägt durch das große Vorbild der Epoche, das
spindeldürre Supermodel Twiggy.
Mit einem eigenartigen Déjà-vu-Gefühl erkannte ich sie wieder. Das Glücksrad hielt bei ihrem Namen. Aber was ich da gewonnen hatte, dessen war ich mir noch nicht sicher.
Ich hörte Schritte hinter mir. Sie kam mit einem Tablett in der
Hand vom Buffet. Darauf standen zwei Gläser und eine Karaffe
mit einer goldbraunen Flüssigkeit, die, wie ich annahm, der
Alibi-Sherry war.
Sie stellte das Ganze auf einen kastanienfarbenen Rokokotisch
direkt vor den Wintergarten, der perfekte Ort, um zu jeder Jahreszeit die Aussicht zu genießen.
Ich drehte mich zu ihr herum, und sie sah an mir vorbei auf die
Fotos. »… ja, das war ich, am Anfang meiner Karriere. – Auf
dem Höhepunkt, wie sich später herausstellen sollte.« In ihrer
Stimme war nicht die Spur von Bitterkeit. Es war ein nüchternes
Konstatieren von Tatsachen.
Ich betrachtete sie. Sie trug ein einfaches, gerade geschnittenes
hellbraunes Kleid, das nicht darüber hinwegtäuschen konnte,
daß sie noch dünner war als damals in den sechziger Jahren. Ihre
Handgelenke waren schmal wie Narzissen und die Waden dünn
wie Stuhlbeine, auch sie Antiquitäten. Das machte sie älter, als
sie war: eben unter fünfzig, wie ich.
»Du warst Model – in London?«
»Ja … Ich … Wollen Sie sich nicht setzen?«
Sie bewegte sich vorsichtig, als sei sie aus Kristall, und mir
war klar, daß sie Angst hatte zu fallen.
»Ja, natürlich, danke.«
Ich schob ihr einen Stuhl zurecht und erlaubte

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