Behandlungsfehler
des OLG Hamm von 1999 heißt es: »Die ärztliche Sorgfaltspflicht beurteilt sich nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung. Die von der Bundesärztekammer herausgegebenen Richtlinien können den Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft jedoch nur deklaratorisch und nicht konstitutiv begründen.« Konstitutiv würde bedeuten, dass ein Verstoß gegen die Richtlinie eine Haftung für sich allein begründen kann.
Jeder Patient ist ein Individuum mit individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Vor- und Nebenerkrankungen und er liegt in einem von bestimmten Bedingungen geprägten Krankenhaus. Für die Risiko-Nutzen-Analyse und die Besonderheiten des Patienten unter diesen konkreten Umständen muss Raum bleiben. Medizin ist dynamisch und einzelfallbezogen, die Leit- und Richtlinien tragen dem zu wenig Rechnung. Hinzu kommt: Sie sind häufig zu alt, vielleicht sind schon Behandlungen möglich, die in der Leitlinie noch gar nicht berücksichtigt sind. Um all diese Faktoren mit einzubeziehen, werden im Arzthaftungsrecht Gutachter herangezogen, die den Einzelfall beurteilen – unter Berücksichtigung der Richt- und Leitlinien.
Anspruchschreiben
Wenn geklärt ist, was eigentlich passiert ist und wie die Behandlung zu bewerten ist, begründe ich die Ansprüche meiner Mandanten in einem Anspruchsschreiben an den Arzt, die Klinik, die medizinische Einrichtung und bitte unter Fristsetzung um
Stellungnahme zu dem von mir konstatierten Sachverhalt und seiner Bewertung – beziehungsweise bitte ich, dass die Haftung dem Grunde nach anerkannt wird. Der Gegner also zugibt, dass sein Verhalten vermeidbar behandlungsfehlerhaft gewesen ist, wodurch der Schaden des Patienten verursacht wurde. Danach beginnt das Warten. Manchmal über einen großen Zeitraum. Es ist ein langer Weg bis zu einer Stellungnahme, unter Umständen sogar ein sehr langer.
Die Verwaltungsleitung der Klinik übergibt das Schreiben ihrer Haftpflichtversicherung, denn sie ist zunächst verpflichtet, jeden potenziellen Schaden ihrer Versicherung anzuzeigen. Diese fordert das Krankenhaus dann zu einer Stellungnahme auf. Die Verwaltungsleitung gibt den Vorgang an den Abteilungsleiter, der sich die Akten kommen lässt und den behandelnden Arzt um Stellungnahme bittet. Diese kontrolliert er, leitet sie an die Verwaltungsleitung weiter und diese wiederum an die Versicherung. Die Haftpflichtversicherung wertet die Stellungnahme der Ärzte aus, bittet gegebenenfalls noch um eine ergänzende Stellungnahme der Klinik. Anschließend erhalte ich endlich Post von der Haftpflichtversicherung. Fast nie wird die Haftung anerkannt. Es folgt ein Austausch der Argumente, manchmal verbunden mit der Bitte an mich, die Angelegenheit im Schlichtungsverfahren überprüfen zu lassen oder mich mit der Anfertigung eines Privatgutachtens auf Kosten der Haftpflichtversicherung einverstanden zu erklären. Wenn wir uns einig werden, kann ich die Akte schließen. Wenn nicht, dann nicht. Ist Letzteres der Fall muss ich prüfen, ob eine Klage unter Berücksichtigung der Argumente der Gegenseite Aussicht auf Erfolg hat, und die notwendigen Unterlagen sammeln. Leicht zieht dabei ein Jahr ins Land, bis wir soweit sind.
Die Mitwirkung des Mandanten ist in dieser Phase oftmals unumgänglich und macht auch ihm viel Mühe.
Das gerichtliche Verfahren
In der Klage müssen wir die Ansprüche des Klägers genau begründen und auch nachweisen, was mir zuweilen ungemein lästig ist. Da muss ich rechnen und genau erfassen, in welcher Höhe der
Verdienstausfall besteht, den es einzuklagen gilt. Ich muss nach den persönlichen Verhältnissen fragen, um den Haushaltsführungsschaden, den der Patient erlitten hat, berechnen zu können. Ich muss wissen, wie viele Kilometer er gefahren ist, um zu den sich an den Behandlungsfehler anschließenden Therapien zu fahren, damit die Kilometerpauschale geltend gemacht werden kann. Es gehört außerdem zu meinen Aufgaben, Quittungen beizubringen und aufzulisten, wie viel er zu seinen Medikamenten zuzahlen musste. Teilweise ist das eine echte Sisyphus-Arbeit, die auch meinen Mandanten lästig ist. Und wer hebt schon die Quittungen vom Friseur auf, weil er sich nicht selbst die Haare waschen konnte?
Einmal hatte ich eine Mandantin, die darin eine absolute Perfektionistin war. Sie hatte sich selbst die Quittung für eine Briefmarke von 55 Cent geben lassen, die ich dann auch eingeklagt habe. Kopierkosten in Höhe von 30 Cent
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