Behandlungsfehler
Ergebnis zufrieden. Er hat eine Entschädigung und seine Genugtuung bekommen. Mit den gesundheitlichen Folgen wird er leben müssen. Seine Fröhlichkeit hat er darüber aber nicht verloren, nur seine Reiselust. Für seine Frau ist das trotz aller Tragik ein Lichtblick. Früher war ihr Ehemann nämlich mehr unterwegs als zu Hause. Doch das Darmproblem, dessen Folgen er bis heute ertragen muss, bindet ihn. Heute hat sie ihn also öfter als früher für sich.
Von Äpfeln, Birnen und Melonen
Die besonderen Regeln bei einer Schönheitsoperation
U nterer Brustrand, oberer Brustrand, horizontal, vertikal, tangential, kranial … – mir schwirrte der Kopf. Die Richterin schaute etwas ratlos. Der Sachverständige redete Fachchinesisch, der Sachverhalt wurde nicht klar. Auch die gegnerische Kollegin schien nicht zu verstehen, worum es ging. Irgendwann reichte es! Ich räusperte mich. Alle sahen mich an. Die Richterin nickte. Ich unterbrach den Sachverständigen: »Herr Kollege«, als Ärztin darf ich das sagen, »Ihre Ausführungen erscheinen nicht transparent. Vielleicht kann man das Ganze einmal etwas plastischer darstellen, sodass alle Anwesenden verstehen können, worüber Sie hier gerade reden.« Alle hörten mir zu. Wie sollte das Gericht denn entscheiden, wenn es nicht verstand, was der Sachverständige sagte? Es ging hier um das Recht meiner Mandantin. Und das war durch das Gutachter-Chinesisch ernsthaft in Gefahr.
Dabei war alles so einfach. Man musste »es« nur aussprechen. Ich griff mir an die Brust, holte noch einmal tief Luft: »Also ich habe hier Größe 75 A. Und ich schätze mal, Frau Richterin, Sie dürften so 75 B haben.« Lächelnd schaute die Vorsitzende auf und sagte: »Na ja, ich bin so bei 80 B dabei.« »Na also«, sagte ich, »darunter können wir uns doch jetzt was vorstellen. Und hier haben wir die Klägerin. Sie haben doch ganz eindeutig ein D/E-Körbchen, schätze 85 D/E, Frau Kettler.
« Die Verhandlung hatte trocken angefangen, jetzt gab es etwas zum Schmunzeln. Frau Kettler war eine Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden stand – taff und geradeheraus. Sonst wäre es vielleicht etwas schwierig geworden. Für peinliches Berührtsein und Scham ist im Gerichtssaal aber nur begrenzt Raum, wenn es um Eingriffe in die Intimsphäre geht.
Es ging um das Ende von Frau Kettlers Lebenstraum und darum, dass sie sich betrogen fühlte. Sie hatte sich vertrauensvoll in die Hände eine Facharztes für Plastische Chirurgie begeben, eines Schönheitschirurgen, der ihr versprochen hatte, ihr kleine Brüste – klein wie Äpfel, pflegte sie zu sagen – zu bescheren.
Schon seit Jahren hatte sich Anna Kettler kleinere Brüste gewünscht. Eigentlich schon seit der Schulzeit. Die Jungen hatten geschaut, die Mädchen gelästert. Der Sportunterricht war eine Qual. Körbchengröße E, vielleicht auch F. Oft hat sie sich gefragt, ob die Jungs sich wirklich für sie interessierten, für Anna Kettler, für das, was sie denkt, fühlt, meint! Und nicht nur vorrangig für ihre Oberweite.
Eine Schönheitsoperation war lange für sie nicht infrage gekommen. Das Geld gab sie lieber für Urlaub aus. Irgendwann lernte sie den Richtigen kennen, einen Mann, der sie liebte, so wie sie war, trotz der riesigen Brüste, aber nicht allein wegen ihnen. Alles hätte gut sein können. Doch dann nahmen die Rückenschmerzen zu. Der Rücken schien das Gewicht nicht mehr auszuhalten. Der Orthopäde stellte degenerative Veränderungen fest und schlug vor, die Brust zu verkleinern, um den Rücken zu entlasten. Wenn sie weniger Gewicht vor der Brust zu tragen hätte, könne das die Schmerzen lindern, sagte er. Für Frau Kettler war das eine gute Nachricht. Vielleicht war es Schicksal, dass er eine medizinische Indikation sah. Denn wenn die Kasse zahlte, konnte sie sich endlich ihren Traum erfüllen.
Sie machte also einen Termin bei einem Schönheitschirurgen aus. Sie erklärte ihm, dass es für sie zweitrangig war, den
Rücken zu entlasten. Nein, Frau Kettler wollte Äpfel, wunderschöne Äpfel statt der Melonen, die sie hatte. Körbchengröße B, allenfalls C, wollte sie und endlich einmal ganz normale BHs tragen können, die nicht groß wie Rucksäcke waren. Sie wollte endlich auch Blusen anziehen, ihr Leben lang hatte sie auf diese verzichten müssen. Der Arzt erklärte ihr, das wäre kein Problem. »Das machen wir.« Er könne nicht ganz sicher sein, dass die Brüste gleich beim ersten Versuch auf beiden Seiten gleich groß sein
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