Behandlungsfehler
nicht erreichbar war. Für Frau Kettler war diese Beurteilung bitter. Sie findet sie bis heute nicht gerecht. Sie fühlt sich belogen und betrogen und hat keine Genugtuung bekommen.
Das kann passieren, wenn Patienten versuchen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Der nicht wohlmeinende Betrachter mag eine gewisse Trickserei in den Fall interpretieren. Manche Patienten versuchen aus einer Schönheitsoperation eine medizinisch indizierte Operation zu machen, allein damit sie die Kosten hierfür nicht aufbringen müssen. Die Spielregeln sind dann aber andere.
Man darf nie vergessen: Schönheitsoperationen bergen, wie alle ärztliche Eingriffe, ein Risiko. Die Erfolge bei einer geglückten Operation mögen groß sein, doch es reicht eben nicht, nur das schöne Ergebnis zu sehen und die Risiken dabei auszublenden. Man sollte diese nicht überlesen.
Wenn die Kasse nicht zahlt, weil sie keine medizinische Notwendigkeit sieht, kann es auch nach einer Schönheitsoperation richtig teuer werden. Die Krankenkasse kommt nämlich für Komplikationen nicht unbedingt auf. Auch Nachbehandlungen, wie zum Beispiel Narbenkorrekturen, muss der Patient selbst bezahlen. Mal angenommen, bei der Brustoperation von Frau Kettler hätte es sich um eine Schönheits-OP gehandelt, wären wahrscheinlich noch allerhand Kosten auf sie zugekommen. So aber zahlte eindeutig die Kasse – und zwar für alles, was später folgte.
Am Ende der Verhandlung gab es für Frau Kettler noch einen kleinen Lichtblick: Der Sachverständige stellte fest, dass es aus ärztlicher Sicht ein grober Fehler war, die Wunde mit Octenisept zu versorgen. Der Schönheitschirurg sei für die Folgen haftbar zu machen. Das Gericht schloss sich dem an.
Anna Kettler hatte durch die schmerzhafte Entzündung mehrere Monate nicht arbeiten können. Den Verdienstausfall den sie dadurch hatte, bekam sie erstattet. Auch die Kosten für die Fahrten zur Lymphdrainage musste der Arzt übernehmen, genauso wie für den Haushaltsführungsschaden: Weil Frau Kettler durch die Schmerzen in ihrer Brust auch ihren Haushalt nicht wie gewohnt organisieren konnte, musste der Prozessgegner für eine Haushaltshilfe zahlen. Das ist fast immer so, wenn Mandanten körperlich eingeschränkt sind, auch dann, wenn Familienangehörige für sie das Putzen, Kochen und Einkaufen übernehmen.
Alles zusammen waren das Tausende von Euro. Doch wirklich zufrieden ist Frau Kettler mit dem Urteil nicht. Es ging ihr nicht ums Geld. Sie wollte Gerechtigkeit – sie wollte, dass der Arzt für das verurteilt wird, was ihrer Meinung nach am schwersten wiegt: Nämlich dass er versprochen hat, ihr ihren Traum zu erfüllen. Und dass er dieses Versprechen nicht eingelöst hat, weil er es objektiv gar nicht einlösen konnte.
Was bleibt? Bei Frau Kettler ein schales Gefühl. Und bei ihrem Arzt das Wissen, dass Octenisept nicht in tiefe Wunden
gehört, bei denen kein sicherer Abfluss gewährleistet ist. Das zumindest ist in meinen Augen ein gutes Ergebnis. Diesen Fehler wird der Arzt nicht noch einmal machen. Dadurch werden andere Patienten geschützt.
Dieses Verfahren hat mir wieder einmal deutlich gemacht, wie wichtig Aufklärung ist. Wenn Frau Kettler gewusst hätte, dass ihre Äpfel einfach nicht machbar waren, so hätte sie sich nicht operieren lassen. Ihre Enttäuschung war vermeidbar.
Frau Kettler wird mit ihren 85 D/E-Brüsten leben müssen. Die rechte Brust ist von den Folgen der allergisch-toxischen Reaktion geprägt und wird sich immer anders als die andere anfühlen. Die Brustwarzen beruhigen sich vielleicht irgendwann. Aber das unangenehme Gefühl bleibt. Frau Kettler hat das Vertrauen in Ärzte verloren. Beim nächsten Mal wird sie alles genau wissen wollen. Sie ist sich jetzt noch viel klarer bewusst als früher, dass es bei jeder Operation Risiken gibt.
Tricksen und Schummeln
Wenn Patienten und Ärzte mit unsauberen Methoden zu Geld kommen wollen
A m Ende meines Studiums musste ich, um Volljuristin zu werden, ein Referendariat absolvieren, einen Teil der Zeit auch im Gericht. Wie stolz war ich, als mein ausbildender Richter vor mir stand, eine dicke Akte unter dem Arm, und sagte: »Frau Dr. Konradt, schauen Sie sich das einmal an. Bis nächsten Montag müssen Sie den Fall fertig haben. Dann sitzt die Kammer zusammen.« Er legte mir die Akte auf den Tisch. Ich hatte noch nie einen Fall vor der Kammer vorgestellt. Bis Montag blieb wenig Zeit, gerade einmal fünf Tage, dann sollte ich, die
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