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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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ausgehen. An diese mutmaßliche Einwilligung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Sie rechtfertigt sich allein aus dem Spannungsfeld zwischen den Verfassungsgütern »Leben« und »Entscheidungsfreiheit des Patienten« und wird dabei zugunsten des Lebens des Patienten getroffen, weil man im Normalfall davon ausgehen kann, dass der Patient sich für eine lebensrettende Maßnahme entschieden hätte.
    Wenn man von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgeht, ist auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, insbesondere einer Patientenverfügung, auf seine religiöse Überzeugung und seine altersbedingte Lebenserwartung zu achten. Auch Gespräche mit Angehörigen können dabei sehr nützlich sein. Grundsätzlich gilt, dass eine mutmaßliche Einwilligung vorliegt, wenn angenommen werden kann, dass ein verständiger Kranker in dieser Lage bei angemessener Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.
    Bei einer nur geringfügigen Erweiterung des chirurgischen Eingriffs kann der Arzt ebenfalls von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehen, also dass der Patient eingewilligt hätte, wenn er vorher über die mögliche Erweiterung aufgeklärt worden wäre.
Die Annahme ist aber nicht zulässig, wenn der Eingriff erheblich erweitert werden muss. So bringt zum Beispiel die Operation am Siebbein ganz erhebliche Risiken mit sich, weshalb man nicht einfach davon ausgehen kann, dass der Patient damit einverstanden gewesen wäre. Auch wenn beim Entfernen der Gallenblase ein Krebs gefunden wird, kann dieser nicht einfach mitoperiert werden. Der Arzt muss in diesem Fall die Operation abbrechen, aufklären und gemeinsam mit dem Patienten beschließen, einen weiteren Eingriff durchzuführen.
    Selbst wenn der Arzt alles richtig gemacht hat, heißt das noch lange nicht, dass die Inhalte dieses Gesprächs in ihrer Gänze auch bei dem Patienten angekommen sind. Der Patient sitzt da und denkt sich: »Ganz klar, es wird alles schick, es wird alles schön, alles gut.« Entsprechend verdrängt er das Gespräch, das ist nur zu menschlich. Er will auch gar nicht wissen, was der Arzt alles erzählt – dass Blutungen und Infektionen auftreten können, und dass es sogar sein kann, dass sein Bein amputiert werden muss, er halbseitig gelähmt ist oder sogar sterben kann. Solche schrecklichen Szenarien blendet er sofort aus. Und wenn der Arzt ihm den Aufklärungsbogen hinhält, unterschreibt er, weil er operiert werden will. Komplikationen betreffen immer nur die Nachbarn und nie einen selbst.
    Menschlich ist es völlig verständlich, wenn der Patient später sagt: Wenn ich gewusst hätte, worauf ich mich einlasse, hätte ich die Operation nie machen lassen. Aber vor Gericht komme ich damit nicht durch. Ich werde oftmals nicht beweisen können, dass niemand mit dem Patienten gesprochen hat. Insbesondere wenn die handschriftlichen Notizen des Arztes belegen, dass ein Gespräch stattgefunden und der Patient unterschrieben hat. Nur das zählt. Für uns Juristen ist Wahrheit grundsätzlich eben das, was wir beweisen können.
    Sicherlich ist es oft so, dass der Patient, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre, in den Eingriff nicht eingewilligt hätte, dass er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Jede Operation birgt ein Risiko, und wenn es ganz dumm läuft, steht auch bei einem kleinen Eingriff manchmal das Leben oder
die Gesundheit auf dem Spiel, und selbst einfache Medikamente können schwere Nebenwirkungen haben. Im Zweifelsfall holt der Patient vielleicht eine Zweitmeinung ein oder verzichtet auf den Eingriff oder vertagt ihn auf später.
    Ich persönlich vertrete selten Patienten, die lediglich ein Aufklärungsverschulden des Arztes geltend machen wollen. Meines Erachtens steht man dabei auf sehr dünnem Eis. Selbst wenn die Dokumentation mangelhaft ist, kann der Arzt erklären, er habe den Patienten aufgeklärt, da er das immer tue. Alternativ kann der Arzt sich darauf berufen, dass der Patient auch bei stattgefundener Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte. Je dringlicher der Eingriff war, desto wahrscheinlicher wird das Ganze. Ob ein Aufklärungsverschulden vorliegt, muss immer im Einzelfall geprüft werden – so wie es im gesamten Arzthaftungsrecht um den Einzelfall geht. Es gibt keine festen Regeln, nur einen einheitlichen Grund, nämlich der Autonomie und der freien Entscheidung des Patienten Rechnung tragen zu müssen.

Daneben gespritzt
Wenn ein kleiner Eingriff große Auswirkungen

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