Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
schuf wieder eine neue Ordnung. Sie hielt das für den ehrenwerten Versuch, eine unordentliche Wohnung aufzuräumen. Dieses gegenseitige Ordnen und Umordnen zog sich nun schon seit einem ganzen Jahr wie ein schwelender Bürgerkriegskonflikt hin, der offiziell nicht beim Namen genannt werden durfte.
Von der Haustür her drang eine Stimme zu ihm empor: »Gülsün.«
»Was?«
»Ich heiße nicht Gülsüm, sondern Gülsün.«
Er hatte sie also ein Jahr lang beim falschen Namen angeredet, und heute hatte sie ihn das erste Mal berichtigt. Als er die Wohnungstür schließen wollte, rief er ihr hinterher: »Und ich dachte die ganze Zeit, du heißt Gülsüm.« Es klang eher nach einer Rechtfertigung, als könne er sich darauf berufen, daß Gülsüm ein angemessenerer Name für eine Hausmeisterfrau sei als Gülsün. Ihr Mann ließ sich alles Geld, das sie verdiente, sofort aushändigen, wobei sie ihm laut vorzählte, wieviel es war. Sie rückte ihr Kopftuch zurecht und lachte über ihr früh gealtertes Gesicht: »Das denken viele, aber in Wirklichkeit heiße ich Gülsün.«
»Wo hast du den Flaschenöffner hingetan?«
»Neben die Messingpötte für den Mokka.«
Er fläzte sich in seinen Relaxsessel und schaltete den Fernseher an. Der Sessel war das einzige Möbelstück, das er aus seiner ehemaligen Wohnung mitgenommen hatte. Eine Weile verfolgte er ein Vormittagsprogramm, in dem jeder Studiogast, der das Mikrofon in die Hand bekam, anfing herumzukeifen, was ihn an die Massenprügeleien im Zigeunerviertel erinnerte. Er schaltete auf NTV um, wo gerade der Wetterbericht kam. In Ankara sollte auch in den nächsten drei Tagen Schnee fallen. Er nippte an seinem staatsmonopolistisch gebrauten Bier, lehnte den Sessel nach hinten und ließ seine Augen ein ganz klein wenig zufallen.
Aha, Yunus hatte also ebenfalls ein Mitspracherecht, wenn es um Berna ging, weil er schließlich seit zehn Jahren wie ein Vater zu ihr war. Toll. Bedachte man, daß Berna einundzwanzig Jahre alt war, führte er gegen Yunus mit elf zu zehn. Im nächsten Jahr würde der Ausgleich erspielt werden. Er rief Berna an, doch sie nahm nicht ab, auch nicht, als er es elfmal läuten ließ. Er führte im Vatersein zwar noch numerisch, aber ihm war klar, daß er irgendwo einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen hatte. Seit einem Monat antwortete Berna nicht auf seine Anrufe. Obwohl jeder gescheiterte Versuch seinen Stolz ein Stück mehr ankratzte, probierte er es störrisch immer wieder, und Berna ging ebenso störrisch nicht ran. Da er wußte, daß an dieser vererbten Dickköpfigkeit weniger ihre hysterische Mutter als vielmehr er selbst Schuld war, konnte er nicht so recht sauer auf sie sein. Vor Sylvester hatte Berna unerwarteterweise angerufen und ihn gedrängt, am nächsten Tag unbedingt miteinander zu reden. Aber zuerst waren die illegalen Parkplatzwächter dazwischengekommen, die sie wegen des Mordes an dem Gebrauchtwagenhändler zu verfolgen hatten, und dann der Mord an dem Taxifahrer. Darüber hatte er vergessen, sie anzurufen.
Insgeheim fragte er sich, ob sie darauf achtgäbe, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren. Dafür schnauzte ihn eine andere Stimme in seinem Kopf an:
Was soll denn diese Frage, sie ist doch noch ein Kind. Von wegen Kind, sie ist in dem Alter, in dem ihre Mutter sie zur Welt gebracht hat, einundzwanzig. Hey, reißt euch mal zusammen da, ich will nichts davon hören
.
Er brachte die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen. Als er auflegte, klingelte das Telefon. Er wurde von der nervösen Hoffnung erfaßt, daß Berna ihn zurückriefe. Doch während er noch nach einer Abstellmöglichkeit für sein Bier suchte, stellte sich der Anrufer als Suat heraus.
»Wie geht es Ihnen, Herr Hauptkommissar?«
»Geht so. Was Neues?«
»In welcher Sache?«
»Die kleine Selbstmörderin.«
»Nichts Besonderes.«
»Was macht ihr denn den ganzen Tag?«
»Tee trinken.«
»Na toll. Und warum rufst du dann an?«
»Der Cousin der Toten ist gekommen. Was sollen wir mit ihm machen?«
»Vernehmen und gehen lassen. Ich komm heut nachmittag vorbei. Falls jemand von den Barangestellten auftaucht, frag unbedingt, ob es noch einen zweiten Schlüssel für die Terrassentür gibt. Falls jemand von den Vorgeladenen nicht erscheinen sollte, schreib den Namen auf. Die dürfen nicht die Stadt verlassen. Was ist mit dem Taxifahrer?«
»Selim hat ihn dem Richter vorgeführt.«
Selim war ein kleiner Beau mit Casanovanaturell, den man für alles Mögliche halten
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