Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
Ergebnis aus der Forensik zu warten.
Auf dicht an dicht vollgestellten Regalbrettern standen fast fünfhundert Bücher. Sofort kam ihm die bedrückende Frage aller Menschen, die nicht gerne lesen: Ob sie die wohl alle gelesen hat? Er wäre froh gewesen, wenn er ein Tagebuch hätte finden können. Er öffnete die Schublade neben dem Computertisch. In ihr befand sich eine in schwarzes Leder eingeschlagene Kladde. Unter den Einträgen war jeweils das Datum vermerkt. Er glaubte, gefunden zu haben, wonach er suchte. Er schlug die erste Seite auf. In Großbuchstaben stand dort
NACHTBUCH
. Er schaute sich die Uhrzeiten an, die neben den Datumsvermerken eingetragen waren. Sämtliche Einträge waren nach zwölf Uhr nachts entstanden. Er hatte auf ein Tagebuch gehofft und ein Nachtbuch gefunden. Ein nachts geführtes Tagebuch. Schon beim ersten Anblick der Leiche hatte er gespürt, daß dieses Mädchen irgendwie einen Knacks hatte, war dem aber nicht weiter nachgegangen. Wenn er nach Hause fahren und ein paar Stunden schlafen könnte, würde er sicherlich effektiver über diesen Knacks, diese Ungereimtheiten nachdenken können.
Auf dem Schreibtisch lagen drei Bücher. Das erste trug den Titel
Porno
. Er schlug das Buch auf, doch es enthielt keine Bilder. Unzählige Zeilen waren mit Bleistift unterstrichen, die Ränder voll von Notizen. Er nahm ein zweites Buch in die Hand,
Die Pornografie des Zeichens
. Auch hier waren alle möglichen Sätze unterstrichen. Das dritte Buch war ganz schmal und dünn, es hieß
Pornographische Schriften von Boris Vian
. Da er der Meinung war, daß sich Mädchen für so etwas eigentlich nicht interessierten, wußte er nicht so recht, wo er diese Pornobegeisterung hinstecken sollte.
Übrigens würde jemand vorbeikommen müssen, der etwas von Computern verstand, um sich ihren PC anzuschauen, die Festplatte auszubauen und aufs Präsidium mitzunehmen. Behzat Ç hatte nie begriffen, wie auf so ein Ding dermaßen viele Informationen paßten. Aber unter welchem Verdacht könnte man die beschlagnahmen? Es würde schwierig werden, eine gute Antwort zu liefern. Er ließ seine Finger über die Tastatur gleiten. Letztes Jahr hatte er sich von Eda überreden lassen, einen Heimcomputer in sechzehn Raten zu kaufen, die er immer noch abbezahlte. Den Computer hatte er bestimmt noch keine sechzehnmal angeschaltet. Ab und zu gab er etwas bei Google ein, weil das mehr Ergebnisse brachte als die Personenregistereinträge aus der Polizeidatenbank.
Er stapelte zwei Schreibhefte und unterzeichnete ein schlampiges Protokoll darüber, daß er sie mitnahm. Unterdessen war Hafize mit einem Tablett ins Zimmer getreten. Darauf befand sich Tee sowie einige frisch frittierte Sigara Böreği, die gefüllten Blätterteigröllchen. Wie sie die mal eben schnell gezaubert hatte, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Die unzerstörbare Gastfreundschaft einer anatolischen Frau, die nicht einmal genug Zeit hatte, um in Ruhe zu trauern. Als Behzat Ç die getrockneten Tränen in den Augenwinkeln der Frau sah, schämte er sich und aß zwei Röllchen, obwohl er eigentlich gar keinen Hunger hatte.
»Oma Hafize«, redete er die Frau an, die höchstens zehn Jahre älter war als er, »gab es da jemanden, der Betül bedroht oder belästigt hat?«
»Weiß ich nicht. Ich glaube nicht. Und wenn ja, hat sie’s nicht gesagt. Die war doch die ganze Zeit in ihrem Zimmer, hatte immer das Licht an und hat gelesen und gelesen. Ich hab einen festen Schlaf. Die könnte die ganze Nacht rumspuken, ich würd das gar nicht hören. Aber von so viel Lesen tränen einem doch die Augen, da wird man doch blöd im Kopf. Das kommt dann davon.«
Haßerfüllt starrte Hafize auf einen Stapel von Büchern, die nicht mehr in die Regale hineingepaßt hatten.
»Wann sind Sie zu Betül gezogen?«
»Na, das werden so vier Monate her sein, da sind wir hier eingezogen. Die ist ohne mich doch nicht klargekommen. Als sie das erste Mal wegging, hab ich auch so geweint, damals in Urfa. Zwei Jahre hab ich geweint. Endlich hat dann Hayrettin Bey sich ein Herz gefaßt, Gott segne ihn, und weil er mein Weinen nicht mehr ausgehalten hat, hier die Wohnung für uns beide gemietet.«
»Hayrettin Bey?«
»Ihr Vater. Der liebte seine Tochter über alles. Sie war ja auch seine Jüngste. Immer hat er sich Sorgen gemacht, daß ihr mal was passiert. Jeden Abend hat er angerufen, da haben sie telefoniert. Und jetzt machst du mir sowas, meine kleine Betül!«
Ihr Blick
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