Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
schaute auf den noch vollen Teller und befand: »Lassen Sie ihn noch stehen.«
Er gefiel sich mal wieder in der Rolle des älteren Bruders. Als nun Behzat Ç sagte: »Bring mir mal einen Mokka mit wenig Zucker«, wußte der Kellner nicht mehr aus noch ein. Er stellte den Teller wieder ab und entfernte sich, offensichtlich bereuend, daß er überhaupt an den Tisch getreten war, und vermutlich mit einem lautlosen Fluch.
Seine Augenlider zuckten, in seinem Kopf hörte er ein Rauschen. Die Begegnung in der Zeitschriftenredaktion hatte ihm ziemlich zugesetzt. Sie nach zehn Jahren wiederzusehen und vorher davon zu träumen war ein seltsames Gefühl. Als wäre ihm damit etwas mitgeteilt worden. Und es konnte sogar passieren, daß die Umstände es nötig machten, sich noch mehrere Male zu treffen.
»Nun komm, nimm den Job an. Das Gehalt ist fürstlich, und du bist mein Bruder. Wieso sollte ich jemanden Fremdes einstellen?«
Seit geraumer Zeit schon wollte Şevket ihn zum Security-Chef des Hotels machen.
»Dazu werd ich dir noch ein Mädchen finden; ich hab meiner Frau schon Bescheid gesagt, sie guckt sich um. Neue Ehe, neues Glück. Damit mal Ordnung in dein Leben kommt.«
»Red doch keinen Blödsinn, Bruder.«
»Red du keinen Blödsinn, Junge. Dein Leben ist völlig aus der Bahn geraten, du bist schon vierzig und rennst immer noch mit dem Funkgerät durch die Gegend…«
»Zweiundvierzig.«
»Umso schlimmer. In deinem Alter kriecht doch keine Schildkröte mehr allein durch den Taurus. Das ist doch kein Leben.«
Şevket wischte sich die Tomatensoßenspritzer vom Kinn. Um bei den Gästen an den Nebentischen keinen schlechten Eindruck zu erwecken, dämpfte er die Stimme.
»Wer sonst würde schon so ein Gerippe wie dich einstellen? Achte ein bißchen auf deine Ernährung. Wenn du mir nur ein einziges Mal recht geben würdest. Aber dafür bist du viel zu stur.«
Während er sprach, hob und senkte sich sein Adamsapfel. Behzat Ç hörte ihm wie immer geduldig zu.
»Bist du fertig?«
»Nein. Du wirst diesen Job annehmen. Ich hab schon mit Reşat gesprochen, er hat seine Zustimmung gegeben. Dein Bruder ist unser Bruder, hat er gesagt. Jetzt muß nur noch der Franzose unterschreiben.«
Das Hotel hatte auch einen französischen Miteigentümer. Şevket beugte sich vor und sagte leise: »Der Franzose kann den jetzigen Security-Chef sowieso nicht leiden.«
Behzat Ç sprang zornig auf. Şevket packte ihn am Arm.
»Hiergeblieben. Wir bekommen noch Kaffee.«
Er setzte sich. Eine Weile sprachen sie nicht. Şevket wußte, daß sein jüngerer Bruder nicht bei ihm arbeiten würde, aber er versuchte, ihn in einem Moment der Unachtsamkeit zu überrumpeln, indem er seinen wunden Punkt ansprach: »Warum hat deine Frau dich verlassen? Du hast dir mit deinem Polizistengehalt eine Bankierstochter geangelt, die noch nie ihre Hand in Spülwasser getaucht hat. Klar, daß die frustriert war und mit einem Psychologen abgehauen ist.«
»Bruder, bitte fang doch nicht wieder mit der gleichen Leier an.«
»Ist ja schon gut. Hör mal, wenn du nicht bei mir arbeiten willst, weil du nicht von deinem Bruder lohnabhängig sein willst – das wär auch gar nicht der Fall. Wir leben ja nicht mehr im Zeitalter der Arbeiter und Bosse. Selbst ich bekomme mein Gehalt von der Firma ausgezahlt und der Franzose auch, das wird schön Monat für Monat verbucht. Komm zu uns! Sogar Reşat ist hier Gehaltsempfänger, sogar Reşat, Junge, der großartige Reşat. Unser Reşat!«
Er hatte seine Augen so ins Leere gerichtet, daß es nicht als unhöflich aufgefaßt werden konnte. Das Klappern und Kratzen zahlloser Bestecke auf den Tellern schien von weit her zu kommen und in seinem Kopf monoton widerzuhallen,
Re-Schatt, Re-Schatt, Reşat!
Der große Miteigentümer des Hotels. Nicht nur dieses Hotels, sondern vieler Hotels in der ganzen Türkei, und dazu noch Vertriebschef mehrerer Autofirmen. Es war ja nicht so, daß Şevket unrecht hatte. Wenn er mal ordentlich Geld in der Tasche hätte, sich nicht mehr so abhetzen müßte und wenigstens für eine Woche an einen sonnigen Strand fahren könnte, wenn er ausgelaugt war. Vielleicht könnte er dann auch Berna mitnehmen. Und wenn Bahar auch ja sagen würde…
Ja zu was? Jetzt mach aber mal einen Punkt, Junge
. Er brachte die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen. Währenddessen sprach Şevket mit dem Mund voller hauchdünn geschnittenem Dönerfleisch unbeirrt weiter. Er bekam Hitzewallungen und hätte gern seinen
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