Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
können Sie mich jederzeit anrufen. Gibt es im Moment noch etwas zu besprechen?«
»Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum das Wohnheim den Namen ›Ideal‹ trägt.«
»Nun, dies ist eine häufig gestellte Frage. Orhan Bey ist ein Unternehmer mit ausgeprägtem Sinn für das Gemeinwohl. Er hat sich mit Leib und Seele dem Bildungssektor verschrieben und eine gehörige Portion Idealismus an den Tag gelegt, was ihm den Beinamen »der Idealist« eingebracht hat. Er ist gleichzeitig Gründer einer Stiftung namens
Bildungsarmee
, für die ich gearbeitet habe, als der Grundstein für unsere hiesige Einrichtung gelegt wurde. Als das Gebäude fertig war, begann die Diskussion um die Namensgebung, wobei wir natürlich darauf bestanden, daß das Wohnheim den Namen Orhan Beys trüge. Er selbst hat aufgrund seiner großen Bescheidenheit dagegen gestimmt. Da schlug ich ihm den Namen
Mädchenwohnheim Ideal
vor, da er einerseits auf den Beinamen des Gründers anspielt und andererseits betont, daß es sich um die ideale Einrichtung für Studentinnen handelt. Ich hoffe, mit diesen Ausführungen Mißverständnissen vorgebeugt zu haben.«
Mit ihrem Blick teilte die Leiterin Behzat Ç mit, sie wisse sehr wohl, woran er die ganze Zeit gedacht habe. Mit einem verwaschenen Lächeln beendete sie ihre Ausführungen: »Ja, so ist das.«
Sobald die Frau schwieg, erschien es Behzat Ç als eine ideale Idee, die Flucht nach draußen anzutreten. Er hielt Eda die Türe auf und gewährte ihr den Vortritt. Dabei fiel ihm auf, daß die Leiterin Eda von Kopf bis Fuß musterte. Es war das lieblose Verhalten einer Frau, die ihre Geschlechtsgenossinnen als Konkurrenz wahrnahm und dabei den männlichen Blick auf Frauen verinnerlicht hatte. Insgeheim fragte sich Behzat Ç, ob sie wohl Betül mit dem gleichen Blick gemustert hatte.
Er startete den Wagen und legte den Rückwärtsgang ein. Eda strich sich die Haare zurück, die ihr über die Augen gefallen waren und sagte: »Bevor sie hierher kam, war sie in einem staatlichen Studentenwohnheim untergebracht.«
Er hielt das Lenkrad mit der Linken und legte seine Rechte auf die Kopfstütze des Beifahrersitzes, um den Verkehr hinter sich besser sehen zu können.
»Das wußten wir doch schon.«
»Rechts kommt keiner.«
Der Wagen reihte sich in den Verkehr ein, als sein Mobiltelefon klingelte. In freudiger Erwartung, daß es Berna sein könnte, nahm er das Gespräch sofort entgegen. Doch es war das Phantom.
»Sag mal, wo steckst du eigentlich?«, fragte er den Anrufer. »Willst du sämtliche klandestinen Zellen auf einmal ausheben?«
»Ich werde gerade selbst beschattet.«
»Was? Was sagst du da?«
Da ertönte Edas durchdringende Stimme: »Aufpassen, Herr Vorgesetzter!«
Behzat Ç legte sich in die Bremsen, denn er wäre beinahe auf einen Lastwagen aufgefahren, der den Supermarkt belieferte.
13
Am nächsten Morgen, noch vor Tagesanbruch, sah er die Standlichter des Polizeibusses in der Dämmerung funkeln und wußte, er war am richtigen Ort angekommen. Es war eine Parterrewohnung in Keçiören, er grüßte die Beamten vor der Tür und trat ein. Es roch nach moderiger Feuchtigkeit. Ein grimmiger Harun zeigte ihm wortlos das Schlafzimmer. Der Geier stand an der Türschwelle und inspizierte das Zimmer. Er machte Behzat Ç Platz. Dumpfes Licht aus dem Korridor traf auf die mit einem Strick an der Decke aufgeknüpfte, unbekleidete Leiche eines jungen Mädchens. Sie war höchstens vierzehn. An ihren Schenkeln klebte geronnenes Blut.
»Vergewaltigung«, sagte der Geier. »Aus der Vagina ist Blut getreten. Auf dem Bett Urin.«
Er schaute das durchnäßte Bett an.
»Warum ist das so viel?«
»Vermutlich ist sie unmittelbar nach dem Erwachen ermordet worden.«
»Vor der Vergewaltigung?«
»Möglich. Jemand hat sie ermordet, vergewaltigt, und dann aufgehängt.«
Auf dem Bett lagen ein paar zerknüllte Banknoten. Bei genauerem Hinsehen fielen ihm die unzähligen Nullen auf. Es war Geld aus der Zeit vor der Währungsreform von 2005.
»Was soll das Geld?«
»Wissen wir nicht. Es lag auf dem Bett, als wir kamen.«
Aus den billigen Lautsprechern einer nahegelegenen Moschee dröhnte der krächzende Ruf eines unausgeschlafenen Muezzin zum Morgengebet. Im selben Moment begannen sämtliche Straßenköter wie aus einem Maul zu heulen und zu kläffen. Er spürte einen stechenden Schmerz in der Mitte seiner Stirn. Mit der rechten Hand beschrieb er Kreise, um das Schmerzzentrum zu massieren. Der Strick war an
Weitere Kostenlose Bücher