Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
Uni gegangen. Das ist ein winziges Gebäude. Wie kann es da sein, daß ihr euch nie über den Weg gelaufen seid?«
»Also, manche kenn ich ja vom Sehen. Aber ich unterhalte mich nicht mit diesen Leuten. Da gibt es so’n paar Radikale, hundert vielleicht, die sich immer prügeln. Die bringen unsere ganze Uni in Verruf. Jede Woche passiert irgendwas.«
Behzat Ç schritt im Zimmer auf und ab. Dann blieb er stehen und fixierte Ayşen.
»Laut deiner Aussage war Betül allein, als du auf die Terrasse kamst. Als du das zweite Mal auf die Terrasse gekommen bist, war Betül nicht mehr da.«
»Genau.«
»Warum bist du ein zweites Mal auf die Terrasse gegangen?«
»Weil sie so traurig aussah. ›Geh doch rein, ich komm auch gleich‹, hat sie gesagt. Als sie dann nach zehn Minuten nicht kam, hab ich mir Sorgen gemacht.«
»Was genau habt ihr zueinander gesagt?«
»Ich fragte sie, ob sie nicht friere. ›Nein‹, sagte sie. Ich solle reingehen, sie würde dann nachkommen. Das war alles.«
Ayşen zupfte an den Hautfransen auf ihren Nagelbetten. Behzat Ç biß sich auf seine von der kalten Witterung spröde gewordenen Lippen und schaute aus dem unverhangenen Fenster hinaus. Es herrschte Feierabendverkehr. Die Straße war überfüllt, die Umrisse der Dinge begannen zu verschwimmen, es wurde langsam dunkel. Schon bald würde man niemanden mehr auf der Straße antreffen.
»Warum hast du uns vorgelogen, daß Betül einen Freund im Ausland hatte?«
»Das war keine Lüge. Es gibt da jemanden.«
»Wir haben das überprüft. Eine solche Person existiert nicht.«
»Dann überprüfen Sie es noch einmal, ich bin mir nämlich ganz sicher, weil sie mir mehrmals von ihm erzählt hat. Betül war ein sehr verschlossener Mensch. Sie hat nur wenig über sich gesprochen. Aber davon hat sie gerne erzählt. Im ersten Jahr hat sie ihn immer besucht.«
»Was für Besuche?«
»Der war im Gefängnis. Sie ist jede Woche zum Besuchstermin hingefahren. Als er freikam, ist er sofort ins Ausland abgehauen. Ich hab ihn nie gesehen.«
Auch der Bluff zum Thema Gökhan blieb erfolglos. Ayşen wiederholte nur, was sie längst wußten. Behzat Ç verlor allmählich seine Überzeugung, daß er nur deshalb keine Informationen aus ihr herausbekam, weil er nicht die richtigen Fragen stellte, und schwieg.
»Also gut«, sagte er dann. »Das reicht dann für heute, aber verschwinde ja nicht von der Bildfläche. Und wehe, du rufst noch einmal deinen Vater an und beschwerst dich über uns. Du bist schließlich eine erwachsene Frau!«
»Ich hab mich doch gar nicht beschwert. Ich hab ihn nur angerufen und erzählt, was mir passiert ist.«
Als Behzat Ç die Zimmertür öffnete, fiel ihm beinahe die Heimleiterin in die Arme. Er bedachte sie mit einem strengen Blick und deutete eine Auffangbewegung an. Ayşen ging auf ihr Zimmer. In Begleitung der Leiterin durchquerten sie die Korridore.
»Herr Kommissar, falls ich Ihnen meinerseits Fragen beantworten kann…«
Die Frau ging ihm auf die Nerven. Er fragte sie, wann Betül im Wohnheim eingezogen sei.
»Vor zwei Jahren. Sie war Stipendiatin und hatte eine Referenz von Orhan Bey persönlich. Das ist unser Stiftungsgründer.«
Im Eingangsbereich befand sich eine Art Rezeption. Das Gebäude war gut geheizt. Behzat Ç hatte seine Hand auf die Empfangstheke gestützt und lauschte der geschwätzigen Leiterin. Sie hatte einen derart kräftigen Hals, daß, wenn man sie aufknüpfen würde, der Tod durch Ersticken sicher erst nach fünf Minuten eintreten würde. Sie tupfte sich den Schweiß von ihrem Dekolleté und betonte, man nehme längst nicht jede Bewerberin ins Wohnheim auf. Die Bonität der Eltern allein sei kein ausreichendes Kriterium. Es müssen auch entsprechende Leistungen im akademischen Bereich nachgewiesen werden. Die Stipendiatenquote liege bei dreißig Prozent. Die erfolgreichsten Studentinnen bekämen alle anfallenden Gebühren erlassen. Bei Betül Gülsoy habe es sich um eine dieser Hoffnungsträgerinnen gehandelt. Leider Gottes habe sie sich aber mit der Politik eingelassen, so daß man das Wohnverhältnis habe kündigen müssen, da Orhan Bey in dieser Hinsicht eine peinliche Strenge walten lasse.
Sie gaben sich zum Abschied die Hand. Aus seiner Polizistenintuition heraus hegte Behzat Ç Mißtrauen gegen die übertriebene Aufmerksamkeit dieser Frau, die sie bis zur Tür begleitete.
»Wir haben uns um Betül gesorgt wie um eine Tochter und waren tief betroffen. Sollten sich noch Fragen ergeben,
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