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Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Titel: Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emrah Serbes
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hätte antreten können.
    »Wolltest du was?«, fragte er.
    »Nein. Ich führe Selbstgespräche.«
    »Bist du verrückt?«
    »Ich bin Polizist.«
    Sofort veränderte sich der Gesichtsausdruck des Recken. Hatte er eben noch sagen wollen: »Steh nicht vor meinem Kiosk rum«, so mußte er jetzt eine Entschuldigung aussprechen. Auf der Yüksel-Straße hüpften Straßenverkäufer vor Blechtonnen auf und ab, in denen sie Feuer entzündet hatten, um sich aufzuwärmen. Der Wind wirbelte riesige Schneeflocken herum. Er schaute erneut auf seine Uhr und entschied, daß es unter widrigen Wetterbedingungen statthaft war, nach einer Viertelstunde anzurufen. Das Telefon klingelte lange. Was einen Menschen in Situationen wie diesen aufrieb, war die Ungewißheit.
Du bist doch kein Kind mehr. Warum pocht dein Herz so heftig?
Eine klare Absage zu bekommen war immer besser als der Kummer, den diese Ungewißheit verursachte. Nach dem siebten Klingeln legte er auf.
    »Wie oft darf man es bei einer verspäteten Frau klingeln lassen? Siebenmal, neunmal, einhundertneunmal…«
    Er klopfte gegen das Kioskfenster.
    »Gib mir ein Pfefferminzbonbon.«
    »Welches darf es denn sein?«
    »Mit Pfefferminze.«
    Er legte das Kleingeld aus seiner Hosentasche auf die Kiosktheke und fragte, ob es ausreichte.
    »Ich rauch den ganzen Tag 216. Nicht, daß ich noch aus dem Mund stinke.«
    Der Kioskbetreiber reichte ihm das Bonbon, sagte: »Das reicht«, und schob ihm einen Teil der Münzen wieder hin.
    Er rieb sich die Ohren, die langsam abzufrieren drohten, aber es gab nichts, was er für seine kalten Füße hätte tun können.
    »Jetzt versuchen wir es einfach noch einmal.«
    Diesmal wurde beim zweiten Klingeln abgenommen. Er verspürte bis in die Ansätze der Brustbehaarung hinein eine Gänsehaut, die nicht von der Kälte kam.
    »Hallo«, sagte er. »Ich bin’s… Kommst du nicht?«
    »Was machst du, wenn ich nicht komme? Wirst du mich dann auch foltern?«
    »Was meinst du?«
    Er wußte natürlich, was sie meinte, hatte aber wegen seiner anfänglichen Verwirrung nachgefragt. Es war klar, daß Ertan die Sache mit Özcan sofort gepetzt hatte.
    »Hey, ich hab doch gar nichts gemacht«, sagte er, doch Bahar hatte schon aufgelegt. Ein Bereich direkt unter seiner Brust fror ein, die glatte Oberfläche zerbarst und sprang in kristallene Stücke. Der Mann, der allen das Leben zerstörte, war nicht so emotional. Er dachte, es sei sinnlos, noch länger in der Kälte zu warten und las die Kristallsplitter in seinem Inneren auf. Er warf sich in die Menschenmenge wie eine Treibmine, glitt vorbei an den jungen Männern, die für zweieinhalb Lira internationales Kino auf DVDs feilboten, an den Gürtelverkäufern und Anbietern blinkender Plastikspielzeuge. Jemand rempelte ihn an, er stieß gegen andere.
    »Ein Almosen, es wird Ihnen vergolten.«
    Er drehte sich um und sah eine Frau mit wettergegerbtem Gesicht, eingefallenen Wangen und einem Kind im Arm, die auf einem ausgebreiteten Stück Karton kauerte. Ekrem von der Bettlermafia war seinen Leuten gegenüber gnadenlos, damit sie bei Passanten möglichst viel Unbehagen und Mitleid erregten.
    »Steh auf«, sagte er. »Das Kind wird krank. Stellt euch auf die überdachte Fußgängerbrücke.«
    Er griff in sein Portemonnaie und holte zehn Lira hervor. So viel hatte er für heute abend ohnehin eingeplant, er hätte wahrscheinlich noch viel mehr zahlen müssen.
    »Und richte diesem Ekrem aus, daß ich nicht wie das Ordnungsamt bin. Ich brech ihm die Beine.«
    »Ekrem hat aufgehört, Herr. Jetzt ist Halis zuständig.«
    »Welcher Halis? Etwa Halis der Bastard?«
    Die Frau verstaute den Geldschein in ihrem Ausschnitt.
    »Genau der«, sagte sie. »Möge Gott es Ihnen vergelten, Bruder. Falls ich der Polizei gegenüber etwas falschgemacht…«
    »Schon gut, schon gut!«
    Ohne genau zu wissen, wohin er ging, stapfte er durch den Schnee. Er spürte schon, wohin es ihn am Ende verschlagen würde, nahm aber keinen bestimmten Weg, sondern ging in dem Wissen, daß sämtliche Seitenstraßen in dieser Stadt nur existierten, um auf Hauptstraßen zu führen, durch den quälenden Seelenfrieden einer Welt, in der es keine Sackgassen gab. Es gab nicht viele Orte, an denen er letztendlich würde ankommen können, vor allem, wenn er gerade mit Ermittlungen beschäftigt war. Im Laufe seines einundzwanzigjährigen Berufslebens hatte er nie einen Mörder gesehen, der an den Tatort zurückgekehrt war – abgesehen von denjenigen, die die Tat zu

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