Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
einging. Gemeinsam mit dem Hausmeister fuhr er in den zweiten Stock. Muharrem schloß auf. Die Wohnung war offensichtlich seit längerer Zeit nicht mehr gelüftet worden. Muharrem führte ihn durch die Zweieinhalbzimmerwohnung und sagte: »Sehen Sie, ein ordentlicher Junge. Trotzdem sieht man, daß es eine Junggesellenwohnung ist. Es fehlt eben die Hand einer Frau, nicht? Das ist sein Arbeitszimmer. Schauen Sie, die Bücher. Ein hochgebildeter Mann.«
Vor lauter Büchern konnte man kaum einen Schritt in den Raum machen. Was nicht mehr in die Regale paßte, war auf dem Boden gestapelt.
Muharrem gehörte zu den Menschen, denen man keine Fragen zu stellen brauchte.
»Meine Tochter hatte Schwierigkeiten in Englisch, da hat er ihr Nachhilfe gegeben. Zuerst war ich ja dagegen. Sie ist dreizehn und geht in die achte. Und er ist ja unverheiratet, nicht? Auch wenn er ein noch so gutes Herz hat, so sind wir Männer eben geschaffen. Da hat er gesagt, die Mutter soll mitkommen und danebensitzen. Er hat meiner Frau sogar was beigebracht. Na, da mußte ich sie allerdings ein bißchen schlagen, denn auf einmal hat sie mit den Kindern eine Geheimsprache gesprochen.«
»Hatte er häufig Besuch?«
»Ja, Besuch hat er häufig gehabt. Da waren auch Leute bei, die mir nicht ganz geheuer waren. Auch Frauen und junge Dinger. Wir haben ein Auge zugedrückt, weil sie Muhsins Freunde waren, nicht? Der Hausverwalter war stinksauer, er hat gesagt: ›Da kommen mir Nutten ins Haus, die geben sich doch da oben der Prostitution hin.‹ Aber nein, sowas war da nicht, ich bin seit zwanzig Jahren Hausmeister. Ich seh den Leuten an, ob sie sich der Prostitution hingeben, Ehebruch begehen oder ihre Hosen vor der Unzucht herunterlassen. Aber solche waren das nicht.«
Behzat Ç holte Betüls Foto hervor: »Schau dir die mal an. War die auch öfter zu Besuch?«
»Also, ich kenn sie nicht. Ich frag mal meine Frau.«
Muharrem nahm das Foto und verließ geschwind die Wohnung. Behzat Ç trat ins Schlafzimmer. Es war mit einem Bett ohne Kopfstütze und einem Schrank aus Stoff möbliert. Er öffnete den Stoffschrank. Darin befanden sich ein paar Pullover, Hosen, Bettwäsche und Unterwäsche. Jeweils nur wenige Garnituren. Er setzte sich an das Kopfende des Bettes und prüfte wie ein frisch eingezogener Hotelgast die Federn der Matratze. Er hatte gerade den ersten Zug von seiner 216 getan, da kam Muharrem auch schon zurück und sagte: »Nein, Herr Kommissar, meine Frau kennt sie auch nicht.«
Behzat Ç blickte sich nach etwas um, das er als Aschenbecher benutzen könnte.
»Guck mal, Muharrem. Es mag ja sein, daß du den Jungen nett und höflich findest. Aber ich bin nicht zum Spaß hier. Das kannst du dir ja denken. Wenn dir irgend etwas an ihm aufgefallen ist, dann sag es mir bitte jetzt.«
»Nun, Herr Kommissar, er wohnt ja jetzt seit drei Jahren hier, nicht? Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Vor drei Monaten ist er einmal betrunken nach Hause gekommen und auf den Bürgersteig gefallen. Da hab ich ihn hochgetragen. Ich weiß nicht, was er hatte, ich glaube, er war verliebt…«
»In wen?«
»Das weiß ich nicht, ich hab mir das auch nur so gedacht. Wir haben eine Flasche Rakı aufgemacht, und weil ich auch ein bißchen angetrunken war, hab ich nichts gesagt. Aber sonst hab ich ihn nie betrunken gesehen. Über die Stränge geschlagen hat er nicht. Einmal hat er sich geprügelt, da mußte er wohl auch auf die Wache. Er hat schlimm ausgesehen und meine Frau hat ihm einen Verband gemacht. Man hat ihm mit einer Eisenstange auf den Kopf gehauen, sein Kopf hat geblutet. Später hab ich gesagt: Muhsin, die haben dich aber ganz schön zugerichtet. Da hat er gesagt: Na, da müßtest du mal die anderen sehen.«
»Was war der Grund für diese Prügelei?«
»Weiß ich nicht. Ich hab ihn gefragt, aber er hat es nicht gesagt. So sind eben die jungen Leute.«
»Hat er je versucht, dich zu manipulieren? Propaganda für verbotene Organisationen?«
»Nein. Wir haben uns ja manchmal unterhalten, aber von Organisationen war da nie die Rede.«
»Wovon war dann die Rede?«
»Von Lohnerhöhungen, und daß alles immer teurer wird. Also es ging um Arbeit. Von den Arbeitern hat er gern gesprochen. Aber nicht, daß Sie jetzt was Falsches denken. Mir hat er ein paarmal gesagt, ich hätte ja gar keine Versicherung. Daß das nicht geht. Da sind wir dann zum Hausverwalter gegangen, und es hat geholfen.«
»Hat er dich versichert?«
»Das nicht. Aber eine
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