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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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schweren Entscheidung: Entweder ich verlasse dich und heirate ihn. Oder ich verlasse ihn und bleibe bei dir.«
    Â»Von mir aus tu Ersteres«, verkündete ihre Tochter und verabschiedete sich winkend.

9
    L éonie war fünfzehn Jahre alt, als Nadine Tardivaux MonsieurPerrin heiratete und zu ihm in die Villa in den Weinbergen zog. Sie war ihrer Tochter dankbar, dass sie ihren reichen Mann in Ruhe ließ. Und weil sie sich einredete, dass Léonie es gar nicht anders wollte, hatte sie auch kein schlechtes Gewissen, sie in der alten Wohnung in Salon zurückgelassen zu haben.
    Hin und wieder kam sie zu Besuch und schenkte Léonie Kleider und Parfüms, die die Tochter annahm, um sie nicht zu enttäuschen, und dann wegsperrte.
    Manchmal weinte Léonie nachts in dem Bett, in dem sie mit ihrer Mutter geschlafen hatte, und fühlte sich unendlich allein. Jetzt, da sie erwachsen wurde, konnte Léonie Nadine gegenüber nicht mehr so hart sein. Sie begriff, dass Nadine gar nicht anders handeln konnte, dass ihr größter Liebesbeweis darin bestanden hatte, sie zur Welt zu bringen. Ihre Erziehung überstieg ihre Kräfte. Nur aus Verzweiflung hatte sie sie mehr oder weniger den beiden alten Nachbarinnen überlassen. Unbewusst hatte Nadine ihr durch ihr schlechtes Beispiel dabei beigebracht, dass ein glückliches Leben nicht von den Männern abhing, denen man begegnete, sondern von dem, was man selbst aus seinem Leben machte. Während des Italienurlaubs bei Daniela Pallavicinis Familie hatte Léonie noch einiges dazugelernt. Wie ein Schwamm hatte sie dort vieles aufgesogen, das wichtig für ihre Zukunft war: Sie hatte gelernt, wie man sich benahm und mit seinen Aggressionen umging. Sie hatte gelernt, welche kaum wahrnehmbaren, aber unüberwindbaren Unterschiede Neureiche von alteingesessenen Mitgliedern der Gesellschaft trennten. Aber vor allem hatte sie gelernt, was eine richtige Familie war. Und nichts wünschte sie sich sehnlicher. Sie hatte sich geschworen, eines Tages auch zu einer solchen Familie zu gehören. Nachdem sie nach Frankreich zurückgekehrt war, hatte sie sich nach einer Arbeit umgesehen. Der nette Postdirektor, den sie schon von klein auf kannte, hatte ihr geholfen, einige Bewerbungsformulare für die Post auszufüllen. Während sie noch auf eine Antwort wartete, hatte ihr die Besitzerin des Restaurants Le Château eine Stelle in ihrer Küche angeboten.
    Da Léonie immer in der Lage sein wollte, sich ihren Lebens unterhalt selbst zu verdienen, hatte sie sich Häubchen und Schürze angezogen und die einfachsten Tätigkeiten verrichtet, die dieser kleine Gourmettempel der provenzalischen Küche zu bieten hatte. Sie wusch die Töpfe, schälte Äpfel und Kartoffeln, putzte Gemüse, begleitete den Küchenchef auf den Markt und trug die Einkäufe. Sie schrubbte Böden und den Herd und fiel abends erschöpft ins Bett.
    Ihren ersten Lohn bekam sie am Vorabend der Hochzeit ihrer Mutter ausbezahlt, und davon wollte sie ihr den Brautstrauß kaufen.
    Als Monsieur Perrin Nadine abholte, um zum Rathaus zu fahren, wo der Bürgermeister sie trauen würde, sagte Léonie zu ihrer Mutter: »Ich hoffe sehr, dass du glücklich wirst!« Nicht zuletzt, weil sie daran insgeheim ihre Zweifel hatte.
    Monsieur Perrin hatte darauf bestanden, dass seine Söhne an der Zeremonie teilnahmen, und bei dieser Gelegenheit traf Léonie zum ersten Mal ihre Stiefbrüder. Sie mochte sie nicht, so wie auch sie Léonie nicht mochten, aber sie machte sich keine weiteren Gedanken darüber.
    Nach dem Hochzeitsessen in der Villa reichte ihr der Stiefvater einen Umschlag mit Geld.
    Â»Um dein Gehalt aufzubessern«, sagte er.
    Sie bedankte sich, wollte ihn aber nicht annehmen. Dabei besann sie sich auf die guten Manieren, die sie in Italien gelernt hatte: »Ich bin Ihnen überaus dankbar, versuche aber, allein zurechtzukommen.«
    Es fiel ihr nicht schwer, das zu sagen – nicht zuletzt, weil die widerwillig erhöhte Unterhaltssumme ziemlich mickrig war. Außerdem verbot es ihr Stolz, von einem reichen Geizkragen Almosen anzunehmen.
    Als ihre Mutter sie bald darauf besuchte, stand der Winter vor der Tür. Nadine trug einen Nerz, der einmal der ersten Frau ihres Mannes gehört hatte.
    Â»Ich kann nicht lange bleiben, weil mich Jean-Marie zum Essen erwartet. Aber nimm das!«, rief sie und stellte einen Karton mit Lebensmitteln

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