Bei Anbruch des Tages
studierte. Er wollte ihn fragen, ob es möglich sei, sich auch ohne Abitur an der Universität einzuschreiben.
Der Freund hatte ihn zum Mittagessen zu seinen Eltern eingeladen, die beide Lehrer waren. Dabei hatte Amilcare festgestellt, wie viel ihn doch von der Welt der gebildeten Menschen trennte. Sein Wissensdurst würde wohl nicht ausreichen, um seine mangelnde Schulbildung auszugleichen.
»Es gibt keine Abkürzung, mein Freund: Wenn du Ingenieurs wissenschaften studieren willst, musst du das Abitur an einem humanistischen oder naturwissenschaftlichen Gymnasium vorweisen«, hatten ihm die Eltern seines Freundes erklärt.
»Und was muss ich tun, um das Abitur zu machen?«, hatte er gefragt.
Die Eltern wussten, dass Amilcare in einer Fabrik arbeitete und wenig Zeit zum Lernen hatte.
»Da du nicht aufs Gymnasium gehen kannst, musst du die Prüfungen als Privatschüler ablegen. Diese Prüfungen haben es aller dings in sich, du musst für viele Fächer lernen, darunter auch La tein, Philosophie, Literatur und Naturwissenschaften. Es gibt keine Abendgymnasien, und du bräuchtest Lehrer, die dich darauf vorbereiten.«
»Ich lerne schnell«, hatte er in dem Versuch, sich Mut zu machen, erwidert.
»Du wirst unzählige Stunden büffeln müssen. Und Bücher sind teuer. Und selbst wenn du das Abitur bestehst und fürs Studium zugelassen wirst, musst du Seminare besuchen. Wie willst du das schaffen, wenn du in der Fabrik arbeitest?«
»Da fällt mir schon was ein!«, hatte er, beunruhigt angesichts der vielen Hindernisse, erwidert.
Er hatte sich auf den Heimweg gemacht und aus Wut und Enttäuschung heftig in die Pedale getreten. Als er gerade Villanova erreichte, sah er, wie ein Mädchen unglücklich vom Rad fiel. Er hatte angehalten, um ihr zu Hilfe zu eilen, und hatte sie sofort erkannt, denn der Commendator Crippa hatte seine Tochter ein paar Mal mit ins Büro genommen.
Ãber Bianca Crippa wusste Amilcare nur, was man sich in der Fabrik und im Dorf über ihre schwierige Art erzählte. Nun kehrte er unwillig zu ihr zurück, schlieÃlich hatte sie ihn erst davongejagt, um sich am Ende doch noch von ihm helfen zu lassen.
»Können Sie aufstehen?«, fragte er.
Biancas Knöchel war geschwollen und ihr Gesicht blutverschmiert. Er half ihr auf und sah sich nach Hilfe um.
Leider war niemand zu entdecken. Die Sonne war bereits untergegangen, und um diese Zeit waren die Frauen in der Kirche und die Männer im Wirtshaus.
»Ich bezweifle, dass Sie wieder aufs Rad steigen können. Wenn Sie wollen, kann ich ins Dorf fahren und jemanden bitten, Sie abzuholen.«
»Sie wollen mich hier allein zurücklassen!«, erwiderte sie vorwurfsvoll und zwang sich, die Schmerzen in Fuà und Schulter zu ignorieren.
»Haben Sie einen besseren Vorschlag?«
»Ich will nicht wieder nach Hause. Ich wollte eigentlich gerade weglaufen«, gestand sie.
»Wohin denn?«
»Keine Ahnung. Aber nach Hause kehre ich auf keinen Fall zurück.«
»Signorina, jetzt hören Sie mir mal gut zu: Sie haben sich verletzt, und es gibt nur einen Ort, wo Sie jetzt hinkönnen: nach Hause. Ich bringe Sie also jetzt in den Ort zurück«, entschied er.
Er hob sie hoch und setzte sie auf den Sattel seines Fahrrads. Es gelang ihm, gleichzeitig das Rad zu schieben und sie festzuhalten.
Er bewunderte Biancas Selbstbeherrschung, die nicht jammerte, und bat sie: »Bitte versuchen Sie, nicht wieder in Ohnmacht zu fallen, denn dann muss ich Sie tragen, und das dauert noch länger.«
Sie hatten die Villa fast erreicht, als sie leise fragte: »Wollen Sie mich tatsächlich zu meinen Eltern zurückbringen?«
Amilcare reagierte nicht. Er wollte nicht in Dinge verwickelt werden, die nur seinen Arbeitgeber etwas angingen.
Schweigend erreichten sie die Haustür.
Amilcare nahm das Mädchen erneut auf den Arm und übergab es dem Commandatore.
3
D ie Crippas brachten Bianca nach Mailand ins Krankenhaus, wo sie ärztlich versorgt, eingegipst und stationär aufgenommen wurde.
Am nächsten Vormittag wurde Amilcare zu Commendator Crippa ins Büro beordert, der zu ihm sagte: »Ãbrigens, was meine Tochter angeht: Du hast sie nicht gesehen, bist ihr nicht zu Hilfe geeilt und weiÃt nicht das Geringste.«
»Ganz genau. Ich weià nicht das Geringste«, pflichtete ihm der junge Mann bei.
»Danke«, murmelte der
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