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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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hätte den Teufel im Leib. Soll ich diese Unterstellung etwa kommentarlos hinnehmen? Finden Sie auch, dass ich den Teufel im Leib habe, Dottore?«
    Â»Ich glaube nur, dass du ein gutes, aber todunglückliches Mädchen bist. Stimmt’s?«, fragte der Arzt.
    Â»Nur Gott kann die Knoten in meiner Seele lösen. Aber vielleicht ist das sogar für ihn zu schwierig«, erwiderte Bianca traurig.
    Â»Warum hast du den jungen Mann gebissen, mit dem du davongelaufen bist? Finden ein junger Mann und eine junge Frau Gefallen aneinander, wollen sie zärtlich zueinander sein. Was hat dich davon abgehalten?«
    Â»Ich würde Ihnen gerne sagen, dass meine Moral mich davon abgehalten hat. Die Furcht, eine Sünde zu begehen. Aber dem war nicht so: Er wollte mit mir ins Bett und hat nicht mal gefragt, ob ich das auch will. Da bin ich so wütend geworden, dass ich die Beherrschung verloren und ihn gebissen habe. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, habe ich gemerkt, dass ich etwas überreagiert habe. Aber es hat mir nicht im Geringsten leidgetan. Und jetzt sagen Sie mir bitte nicht, dass ich mich bei meiner Mutter entschuldigen soll.«
    Â»Das sage ich dir nicht … Stattdessen gestehe ich dir, dass ich mir Sorgen um dich mache und dir ein Gespräch mit einem Kollegen, einem Psychiater, vorschlage.«
    Â»Glauben Sie etwa auch, dass ich verrückt bin?«, fragte Bianca aggressiv.
    Â»Ich glaube nur, dass du sehr unglücklich bist.«
    Â»Schicken Sie doch meine Eltern zum Psychiater! Sie sind viel unglücklicher als ich, und zwar seit ihr heiß geliebter Sohn gestorben ist.«
    Â»Mädchen, du bist einfach zu kompliziert für einen alten Mann wie mich!«, erwiderte der Arzt resigniert. Er brachte sie zur Tür, und sie verabschiedeten sich.
    Als sie wieder in Villanova waren, erhielt Bianca die Erlaubnis, zu ihrer Freundin Anna Colombo nach Nervi zu fahren, wo sie den restlichen Sommer verbrachte. Ihre Eltern besuchten sie, und in dieser Zeit schien sie mit ihnen und dem Rest der Welt Frieden geschlossen zu haben. Im September wollte sie in das kurz vor Paris gelegene Neuilly ziehen, um einen Malkurs zu belegen. Sie sollte dort in einer Art Pension für Töchter aus gutem Hause wohnen. Ihre Eltern waren noch nie so entgegenkommend gewesen, aber das wunderte sie nicht weiter. Sie schrieb es der Erleichterung zu, sich nicht mehr um sie kümmern zu müssen, denn sie hatten eine Riesenangst davor, sie könnte eine weitere Verrücktheit begehen.

4
    N ach zwei Jahren kehrte Bianca kurz vor Weihnachten aus Paris zurück. Sie trug einen eleganten Hosenanzug und einen Borsalino, der farblich zum braunen Ensemble passte. Sie rauchte lange lilafarbene Zigaretten mit goldenem Filter, fuhr Auto, verbrachte viele Tage in Mailand und manchmal auch die Nächte. Sie traf sich mit Journalisten und Dichtern, bewunderte Tommaso Marinetti und Alberto Savinio und ignorierte ansonsten die Sorgen der Crippas, die nicht wagten, ihr zu widersprechen, und sie und ihre Freunde duldeten, wenn sie sie in die Villa einlud. Es gab aber auch Tage, an denen sie sich wieder weiblicher kleidete und sich zu ihrer Mutter gesellte, die im Salon oder im Garten mit ihren Freundinnen Tee trank und über Belanglosigkeiten plauderte.
    Bei diesen Gelegenheiten lächelte Bianca und gab sich gefügig, während unter ihren Händen Ornamente gediehen, die sie mit der Häkelnadel schuf. Manchmal setzte sie sich im Garten an die Staffelei und malte ein Landschaftsbild oder einen Sonnenuntergang, wobei sie seltsame Farben benutzte, die eine Realität wiedergaben, die nur sie sah.
    Die Crippas mochten diese unruhigen Bilder nicht, behielten aber ihre Meinung für sich und sagten stattdessen: »Wunderbar!«
    Bianca sah sie herausfordernd an und murmelte: »Nie sagt ihr mir die Wahrheit! Ihr seid scheinheilig.« Und dann sagte sie: »Ihr wollt, dass ich so bin wie die Töchter eurer Freunde: dumm und unterwürfig. Aber das könnt ihr vergessen, denn so bin ich nun mal nicht.«
    Die Crippas lächelten verlegen und schwiegen. Nur einmal erwiderte die Signora: »Ich verstehe dich. Schließlich kann ich ebenfalls nicht aus meiner Haut heraus.«
    Sie schaffte es nicht, offen mit ihrer Tochter zu reden, und verschwieg ihr sogar, dass sie seit Längerem Herzprobleme hatte, die immer schlimmer wurden. Es gab Tage, an denen sie das Bett nicht verlassen konnte, und Bianca

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