Bei Anbruch des Tages
DIE ELEGANTE, PERFEKTE ARMATUR.
Bianca betrat mit dem Kaffeetablett den Raum, als der Commendatore gerade fragte: »Haben Sie sich mit meiner Tochter abgesprochen?«
»Ich hatte nie das Vergnügen, auch nur ein einziges Wort mit der Signorina zu wechseln.«
Der Mann musterte seine Tochter, die das Tablett auf dem Schreibtisch abstellte und ihm anschlieÃend das Blatt aus der Hand nahm.
»Ich habe das vor einigen Tagen gezeichnet, als die neuen Arma turen geliefert wurden. Aber die Zeichnung ist furchtbar!«, sagte sie, zerriss sie und warf die Fetzen in den Papierkorb.
»Aber warum denn?«, fragte Amilcare verblüfft.
»Das kann ich besser!«, erwiderte sie, nicht ohne hinzuzufügen: »Wie viel Zucker?«
Als sie an diesem Abend allein waren, sagte Bianca zu ihrem Vater: »Dieser Cantoni gefällt mir. Ich habe ihm ein Billett zukom men lassen und ihn für Sonntag zum Mittagessen eingeladen. Das freut dich doch hoffentlich?«
Der Vater behielt seine Gedanken für sich, aber die Vorstellung gefiel ihm. Es war das erste Mal, dass seine Tochter etwas tat, gegen das er nichts einzuwenden hatte.
5
D er Commendator Crippa hatte keine Einwände, nicht ein mal als Biancas Manöver, sich den jungen Cantoni zu angeln, immer offensichtlicher wurden. »Besser ein intelligenter, ehrgeiziger Bauernsohn als diese verwöhnten, verkommenen Kerle aus guter Familie, mit denen sie sich seit Jahren umgibt.«
Seit dem Tod ihrer Mutter war Bianca regelrecht aufgeblüht. Sie hatte aufgehört, seltsame Leute in die Villa einzuladen, und floh immer seltener in die Stadt.
Als der Commendatore nun sah, wie Cantoni und sie nach dem sonntäglichen Mittagessen, das zu einer festen Gewohnheit geworden war, Seite an Seite durch den Park spazierten, fragte er sich flüsternd: »Was die wohl so reden?«
Es war Sommer, und der Mann lag im Liegestuhl und ruhte sich im Schatten eines Feigenbaums aus. Er sah zwei junge Leute, die auf ihre Räder stiegen und davonfuhren. Es herrschte eine undurchdringliche Stille.
Er beobachtete, wie sie durch den Park fuhren, und es war ihm egal, dass die Leute im Ort sagten: »Der Crippa hat es nicht ge schafft, seine Tochter gut zu verheiraten. Jetzt versucht er, sie einem ehemaligen Arbeiter anzudrehen, der Ingenieurswissenschaften studiert.«
Er sah sich als Kind über die StraÃen laufen, zusammen mit seinem Vater, der als Handwerker immer unterwegs gewesen war und von Haus zu Haus zog, um Dachrinnen zu reparieren und Armaturen einzubauen. Gern wäre er stehen geblieben und hätte mit anderen Kindern gespielt, aber der Vater befahl jedes Mal: »Erst die Pflicht, dann das Vergnügen.« Genau wie Amilcare Cantoni war auch er von bescheidener Herkunft und hatte viele Opfer bringen müssen, um zu dem zu werden, was er war.
Jetzt genoss Luigi Crippa die Ruhe, und zum ersten Mal seit Jahren war er beinahe glücklich. Er schloss die Augen und dachte an die so erfolgreichen Anzeigen, die seit einem Jahr in den Zeitungen erschienen und seine Armaturen im ganzen Land bekannt gemacht hatten. Dank Bianca und Amilcare war seine Firma zu einer edlen Marke geworden. Sie brauchten die neuen Ideen der Jugend, um Fortschritte zu machen. Er sah das anders als die Diktatur, die das Land regierte, jeden modernen Gedanken unterdrückte und nichts als Hass und Angst säte.
Irgendwann schlief er ein und hörte nicht, wie die jungen Leute erhitzt zurückkehrten, die Räder abstellten und ins Haus eilten, um dort etwas Kaltes zu trinken.
Die groÃe Villa hielt ihren Sonntagsschlaf. Die älteren Dienst boten ruhten sich in ihren kühlen Zimmern aus. Die Hunde schlie fen eingerollt auf den schwarz-weiÃen Fliesen im Flur. Die jüngeren Dienstboten waren im Dorf und genossen den freien Tag. Bestimmt schlief auch der Pfarrer in Erwartung der groÃen Prozession, die am Abend stattfinden sollte.
Bianca stellte zwei mit Wasser gefüllte Gläser auf den Tisch und gab Tamarindensirup hinzu, der das Getränk golden einfärbte. Amilcare griff zu seinem Glas und trank das süÃsaure Getränk durstig aus. Bianca sah, wie winzige SchweiÃtropfen an seinem Hals hinunterliefen.
Sie musterte die markanten Züge seines Gesichts und die kräftige Hand, die das Glas hielt. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, sehnte sich nach seinen Zärtlichkeiten.
»Komm mit«, sagte sie, als er das leere Glas
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