Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
Vom Netzwerk:
dir so einfach verzeihen?«, zischte sie und trat vor ihn hin, wobei sie nach wie vor die schwere Bürste umklammerte.
    Â»Verzeih mir«, wiederholte Amilcare und sagte dann: »Ich habe nur an mich gedacht, an meine Arbeit, mein Studium, daran, all das verlieren zu können. Du gefällst mir, seitdem ich dich nach dem Sturz vom Rad aufgehoben habe. Aber ich bin nur ein Arbeiter, ein Bauernsohn. Ich bin es gewohnt, die Distanz zu wahren. Ich hätte es niemals gewagt, mir vorzustellen, dass du dich in mich verlieben könntest. Und niemand, der uns jetzt sehen würde, würde das glauben. Man würde mir vorwerfen, ich hätte versucht, dich zu vergewaltigen. Ist dir eigentlich klar, in welche Situation du mich gebracht hast?«, sagte er streng.
    Er legte die Hand auf die Türklinke, drückte sie herunter und sah aus dem Augenwinkel, wie Bianca mit der silbernen Bürste ausholte. Blitzschnell packte er sie am Handgelenk, brachte sein Gesicht ganz nah an das ihre heran, sah sie wütend an und sagte drohend: »Wage es nie mehr, die Hand gegen mich zu erheben!«
    Dann riss er die Tür auf und lief die Treppe hinunter. Der Commendatore lag nicht mehr im Liegestuhl unter dem Feigenbaum. Amilcare wollte gerade aufs Rad steigen, als Luigi Crippa nach ihm rief.
    Der junge Mann drehte sich um. Bestimmt hatte der Commendatore alles mit angehört und würde ihn jetzt entlassen. Sein Chef stand vor dem Eingang der Villa und sagte: »Vergiss bitte nicht, dass wir morgen um halb acht eine Besprechung mit der Technikabteilung haben.«
    Â»Ich dachte schon, ich würde entlassen«, erwiderte er kleinlaut.
    Â»Warum denn das?«, fragte der Commendatore.
    Â»Weil ich mit Signorina Bianca gestritten habe«, flüsterte der junge Mann mit gesenktem Blick.
    Â»Ihr habt gestritten?«, fragte Biancas Vater scheinbar unschuldig.
    Â»Wir haben uns unwiderruflich zerstritten«, erklärte Amilcare.
    Der Commendatore wandte sich zum Haus und sagte: »Davon weiß ich nichts, außerdem geht mich das nicht das Geringste an. Bis morgen.«
    An diesem Nachmittag konnte sich Amilcare nicht aufs Lernen konzentrieren. Er war wütend.
    Welches Spiel spielten Vater und Tochter hinter seinem Rücken? Am liebsten hätte er gekündigt. Bis die Sonne unterging, lief er über die Felder.
    Am nächsten Tag ließ sich Bianca nicht in der Firma blicken, und erst Tage später erfuhr er, dass sie nach Ligurien gefahren war, wo sie den Sommer verbringen würde. In der darauffolgenden Woche schrieb sie ihm aus Nervi:
    Es ist allgemein bekannt, Amilcare, dass ich manchmal seltsam bin. Es gibt Momente, in denen ich den Verstand verliere und mich von blinder Wut mitreißen lasse, in der festen Überzeugung, dass sich die ganze Welt gegen mich verschworen hat.
    Dann leide ich furchtbar und werde verletzend. Leider oft auch den Menschen gegenüber, die ich am meisten liebe. Es tut mir leid, dass ich dich angegriffen und in Schwierigkeiten gebracht habe. Ich liebe dich und wünsche mir, du würdest mich heiraten.
    Amilcare las sich den Brief mehrmals durch und dachte lange nach. Er mochte Bianca, wusste aber, dass sie schwierig und unberechenbar war.
    Er beschloss, mit dem Heiratsantrag umzugehen wie mit einem geschäftlichen Angebot. Einige Tage später klopfte er bei seinem Chef an.
    Er zeigte ihm den Brief seiner Tochter, den der Commendatore aufmerksam las.
    Â»Bianca möchte deine Frau werden«, stellte er dann fest.
    Â»Und Sie hätten sicher lieber einen Schwiegersohn aus Ihren Kreisen«, sagte Amilcare leise.
    Â»Sie will dich und keinen anderen, und mir soll es recht sein.«
    Â»Also werde ich die Signorina Bianca heiraten und mein Möglichstes tun, sie immer zu lieben, aber es wird sicher nicht immer leicht sein«, erwiderte der junge Mann.
    Â»Du wirst es nicht bereuen: Schon bald wird Crippa-Armaturen dir gehören.«
    Damit hatte Amilcare Cantoni nicht gerechnet. Aber er betrachtete diese Aussicht nicht als Ziel, sondern als Ausgangspunkt.
    Crippa und sein Angestellter standen sich auf Augenhöhe gegenüber, so als wollten sie sich miteinander messen. Und genau das gefiel dem älteren Mann, der nicht mit so einem beherrschten Verhalten gerechnet hatte. Dabei hatte er keinen Zweifel daran, dass die Firma bei Amilcare gut aufgehoben sein würde.
    Amilcare zögerte jedoch noch. Crippa dachte an den Jungen in kurzen Hosen, in dessen

Weitere Kostenlose Bücher