Bei Anbruch des Tages
Celina begierig gemustert wurde.
Guido erzählte von einer Schauspielerin, die die Heldin seines Spielfilms sein würde. Er sagte, sie sei zwar schön, aber leider völlig untalentiert. Trotzdem wolle der Produzent sie unbedingt haben.
Léonie gab sich erneut ihren Tagträumen mit Roger hin. In dem Moment war sie sich sicher, dass er in Varenna auf sie warten würde und sie nur noch wenige Stunden voneinander getrennt waren. Trotzdem fragte sie sich, ob sie tatsächlich zu einem Fremden fahren sollte, nur weil er sich ein Jahr zuvor mit ihr verabredet hatte. Was wollte sie von ihm? War sie etwa nicht glücklich mit ihrem Mann? Vielleicht nicht vollkommen, aber dafür hatte sie alles, was sich eine Frau nur wünschen konnte. Ein Haus, von dem andere nur träumten, eine liebevolle Familie, wie sie sie noch nie gehabt hatte. Ihr Mann gab ihr nach wie vor Rätsel auf, aber war das ein Grund, alles aufs Spiel zu setzen? Nein und nochmals nein! Warum sollte sie sich zu so einem derart gewagten Treffen hinreiÃen lassen? Es stimmte, Roger hatte ihr neues Selbstbewusstsein gege ben, und dafür sollte sie sich wenigstens bedanken. Ja, sie musste sich unbedingt bei ihm bedanken. Sie würde nach Varenna fahren, und wenn er da war, würde sie sich bei ihm bedanken. Sie würde ihm Fotos von ihrem Sohn zeigen. Das hieà nicht, dass sie Guido betrog, denn dafür gab es nicht den geringsten Grund. Eigentlich gab es überhaupt keinen Grund, nach Varenna zu fahren. Ganz genau, sie würde zu Hause bleiben.
Am nächsten Morgen stillte sie das Kind und sagte anschlieÃend zu Guido: »Ich fahre nach Morbegno.«
»Soll ich dich begleiten?«
»Danke, aber das ist nicht nötig«, erwiderte sie und hoffte, dass Guido nicht darauf bestand mitzukommen.
»Dann wünsche ich dir viel Vergnügen!«, meinte er.
»Warte nicht mit dem Mittagessen auf mich. Ich werde unterwegs eine Kleinigkeit essen.«
Sie stieg in den Wagen und nahm die StraÃe zum See.
5
D ie Besitzerin des Hôtel du Lac erklärte gerade einem englischen Touristenpaar, dass das Hotel kein Restaurant hatte.
»Normalerweise essen unsere Gäste in den Lokalen in der näheren Umgebung. Hier am See gibt es einige Restaurants mit hervorragender Küche.«
In diesem Moment ging die Tür zu der kleinen Lobby auf, und eine junge Frau kam herein. Sie trug eine sportlich geschnittene Jacke und eine enge Jeans, die in weichen Stiefeln mit niedrigem Absatz steckte. Da die Hotelbesitzerin mit vielen Menschen zu tun hatte, sah sie sofort, dass die schöne junge Frau etwas Besonderes war. Sie lächelte ihr zu und sagte: »Ich bin gleich bei Ihnen.«
Die beiden Engländer bedankten sich für die Information und verlieÃen das Hotel, während Léonie an die Rezeption trat.
»Guten Tag«, sagte die Besitzerin. »Kann ich Ihnen helfen?« Sie musterte sie neugierig, weil sie ihr vage bekannt vorkam.
»Guten Tag«, erwiderte Léonie. »Ist zufällig Dottor Bastiani â¦Â« Sofort wurde sie von der Hotelbesitzerin unterbrochen.
»Jetzt weià ich es wieder! Sie sind die Dame mit dem durchnässten Mantel! Dottor Bastiani ist in der Bar und hat mich gebeten, ihm Bescheid zu sagen, wenn jemand nach ihm fragt. Bitte warten Sie hier, ich hole ihn sofort!«
Aber Léonie hielt sie mit einer Geste zurück. »Danke, bemühen Sie sich nicht. Ich gehe zu ihm.«
Sie betrat die Bar und sah, dass Roger an einem Tischchen saà und Zeitung las.
»Guten Tag«, brachte sie zögernd hervor.
Der Mann sah hoch und sprang sofort auf. Strahlend sah er sie an.
»Léonie«, flüsterte er. »Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst, habe es aber inständig gehofft. Wie geht es dir?« Ohne die Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: »Lass uns rausgehen!«
Roger zog den Mantel über, den er in der Lobby gelassen hatte, und gemeinsam verlieÃen sie das Hotel.
»Ich hoffe, du kannst ein bisschen bleiben, ich habe nämlich einen Tisch im Restaurant auf der Piazzetta bestellt.«
»Ich kann mit dir zu Mittag essen, muss aber anschlieÃend sofort wieder fahren.«
Roger nahm ihre Hand und hakte sie unter, während er sagte: »Du ahnst ja nicht, wie oft ich in diesem Jahr an unsere Begegnung gedacht habe.«
»Ich auch«, gestand sie.
»Wie geht es dir?«, wiederholte er. »Ist mit deiner Schwangerschaft alles
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