Bei Anbruch des Tages
noch Ingenieurswis senschaften studierte, ist in eine Auseinandersetzung seiner Eltern hineingeplatzt und versuchte, die Wogen zu glätten. âºWas mischst du dich da ein?â¹, griff seine Mutter ihn an. Daraufhin er: âºDas ist auch mein Haus und das meines Vaters!â¹ Und sie: âºIch hätte lieber ein Kaninchen zur Welt bringen sollen anstatt so ein missratenes Kind wie dich.â¹ Die Villa wurde nicht verkauft, aber die beiden haben lange nicht mehr miteinander geredet. Und das ist im Grunde das Ende der Geschichte.«
»Eine ziemlich grausame Geschichte«, flüsterte Léonie.
»Ja, furchtbar. Ich selbst hatte jahrelang Angst, die Geisteskrankheit meiner GroÃmutter geerbt zu haben, da sowohl mein Vater als auch mein Onkel Gioacchino davon verschont geblieben sind«, sagte Guido. »Aber jetzt lass uns schlafen!«
3
A n ihrem ersten Arbeitstag hatte Léonie die Armaturenfabrik schüchtern betreten. Renzo Cantoni war mürrisch wie immer und lieà sich nicht anmerken, wie sehr er ihre Anwesenheit zu schätzen wusste. Stattdessen sagte er zu seinen Angestellten: »Meine Schwiegertochter sieht sich hier mal um. Gebt ihr etwas zu tun.«
Sie steckten sie ins Warenlager, wo sie alles über die verschiedenen Armaturen lernte. Bald wusste sie auch über die Aufträge und den Vertrieb Bescheid. Sie hatte für jeden ein Lächeln übrig, entschuldigte sich, wenn sie einen Fehler machte, und freute sich, wenn man sie lobte. Sie arbeitete sich in die komplizierten Abläufe der Abteilung ein und lernte Lieferanten- und Kundendaten auswendig.
Nach einigen Monaten bat sie darum, in die Fabrik versetzt zu werden. Dort begeisterte sie sich für jede einzelne Phase der Produktion.
Drehbänke, Bohrmaschinen, Fräsmaschinen und Galvanik wurden ihre neue Leidenschaft.
»Ich würde gern lernen, wie man eine Drehbank bedient«, sagte sie zu Cavalier Cantoni.
»Kommt gar nicht infrage! Du bist im achten Monat schwanger und solltest dich ausruhen«, befahl ihr Schwiegervater und flüsterte Celina ins Ohr: »Léonie ist wirklich groÃartig. Sie tut all das, was eigentlich Guido tun sollte, der die Fabrik lieber meidet, nach allem, was geschehen ist, so als machte sie ihm Angst.«
Léonie hatte mitgehört. Was war wohl geschehen? Warum wurde in dieser Familie nur aus allem ein Geheimnis gemacht? In den letzten Wochen vor der Niederkunft langweilte Léonie sich zu Hause. Als Guido nach Rom fuhr, um sich mit dem Produzenten und den Regisseuren einer Fernsehserie zu treffen, für die er das Drehbuch geschrieben hatte, begleitete sie ihn. Aber es strengte sie zu sehr an. Sie verabschiedete sich von Guido und kehrte nach Villanova zurück, fest entschlossen, geduldig auf die Geburt zu warten.
Um sich die Zeit zu vertreiben, bat sie die Schwiegermutter, ihr das Notenlesen beizubringen.
Léonies Erstgeborener kam in einer Mailänder Klinik zur Welt. Es war ein gesundes, kräftiges Kind, das der GroÃonkel, Monsignor Gioacchino, auf den Namen des Schutzheiligen seiner Gemeinde taufte: Giuseppe.
Als Léonie mit dem Kleinen in die Villa zurückkehrte, gab es ein groÃes Fest â ein geeigneter Anlass, sie Freunden und Verwandten vorzustellen, die sie noch nicht kennengelernt hatten.
Einigen davon vertraute Cavalier Cantoni an: »Diese französische Schwiegertochter ist der Sohn, den ich mir immer gewünscht habe.« Mit diesen Worten betonte der Fabrikant die Zuneigung, die er für Léonie empfand, und seinen Respekt vor ihrem Einsatz für das Familienunternehmen.
Von dem Essen und den Gesprächen ermüdet, verlieà Léonie nach einer Weile die Feier und trat in das Zimmer ihres Kindes, das in den Armen einer älteren Kinderfrau allmählich unruhig wurde. Es wollte gestillt werden. Léonie schickte die Kinderfrau fort, setzte sich auf einen Sessel und legte den Säugling an die Brust.
Das Stillen bereitete ihr ein fast körperliches Vergnügen, so als würde sie ihrem Sohn mit der Milch das Beste von sich mitgeben.
An diesem Tag dachte sie nach vielen Monaten wieder an Roger Bastiani und den Reifenwechsel zurück. Sie wusste rein gar nichts über diesen Mann: weder wo er wohnte, wo er arbeitete, ob er verheiratet war, ob er Kinder hatte, noch, ob er ein glückliches Leben führte. Sie hielt ihn für einen reifen, gut aussehenden Einzelgän ger, einen typischen Mann aus dem
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