Bei Anbruch des Tages
gut gegangen? Und bist du jetzt Mutter eines Sohnes oder einer Tochter?«
»Eines Sohnes. Er heiÃt Giuseppe, ist gesund, wunderschön und mittlerweile ein halbes Jahr alt.«
Auf dem engen, gepflasterten, etwas abgefahrenen SträÃchen waren nur wenige Spaziergänger zu sehen. Ein Fährboot, das gerade von der Mole ablegte, kräuselte die Wellen, die sich am Ufer brachen. Der See funkelte in der Sonne des schönen Dezembertages.
»Ich bin so froh, dass du hier bist!«, meinte Roger. »Ich hatte schon befürchtet, dich nie mehr wiederzusehen.«
»Ich habe lange gezögert, bis ich mich dazu entschlossen habe«, gestand Léonie.
Sie hatten die Piazzetta erreicht, und Roger zeigte auf eine Bar.
»Möchtest du hier einen Aperitif trinken, oder sollen wir gleich ins Restaurant gehen?«
»Gleich ins Restaurant. Es ist unglaublich kalt hier drauÃen.«
Der Kellner führte sie zu einem etwas abseits stehenden Tisch vor einem groÃen Kamin, der dem Raum eine gemütliche At mosphäre verlieh. Die Lasagne, die sie bestellten, schmeckte köst lich.
Lachend erinnerten sie sich an die Reifenpanne und daran, wie stolz Léonie gewesen war, als sie mit Rogers Hilfe das Ersatzrad montiert hatte.
Sie nippten an ihrem Kaffee, als Roger sie zärtlich ansah und sagte: »Du bist ebenso reizend wie faszinierend, Léonie. Du hast mein Herz erobert.«
»Ich bin verheiratet, Roger, und ich empfinde eine groÃe Zuneigung für meinen Mann und unser Kind.« Léonie errötete.
»Auch ich bin verheiratet. Ich liebe meine Frau und unsere beiden fantastischen Kinder. Aber das mit uns ist etwas ganz Besonderes, glaubst du nicht?«
»Vielleicht«, erwiderte sie zögernd.
Roger nahm Léonies Hand und drückte sie: »Reservieren wir ein kleines Plätzchen in unserem Leben nur für uns beide. Alles andere soll die Zeit entscheiden«, schlug er vor.
»Wie soll das gehen, ohne dass wir den Menschen, die uns wichtig sind und die wir respektieren, wehtun?«
»Wir sehen uns nur einmal im Jahr, am zweiundzwanzigsten Dezember, hier in Varenna. Und zwar nur so lange, wie wir es wirklich wollen. Das bleibt unser Geheimnis«, erklärte Roger lächelnd.
Léonie zögerte, nickte dann unmerklich und sagte: »Gehen wir, ich muss wieder zurück.«
Sie verlieÃen das Restaurant und gingen Hand in Hand.
Léonie erzählte von Guido, von der Familie Cantoni, von Villanova. Und Roger von seiner Ehe, den Kindern, dem Krankenhaus, der Universität.
Es war, als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen.
Sie erreichten den Platz, auf dem Léonie ihr Auto geparkt hatte.
»Ich habe Fotos von meinem Kleinen mitgebracht, damit ich sie dir zeigen kann«, sagte sie.
»Lass uns alles Weitere für nächstes Jahr aufsparen«, schlug Roger vor und öffnete die Wagentür für sie.
Dann umarmte er sie und zog sie an sich, während er flüsterte: »Frohe Weihnachten, kleine Léonie, pass auf dich auf!«
»Frohe Weihnachten, Roger«, erwiderte sie und löste sich aus seiner Umarmung, nicht ohne lächelnd hinzuzufügen: »Wir sehen uns in einem Jahr, am zweiundzwanzigsten Dezember.«
»Ich werde hier sein und auf dich warten«, versprach er.
»Und wenn irgendetwas dazwischenkommt â¦Â«, begann Léonie.
»Nichts kann uns trennen«, versicherte ihr Roger, der sie lächelnd betrachtete, als sie den Motor anlieà und vom Platz fuhr, um die Heimfahrt anzutreten.
6
A m Weihnachtstag war die Villa erfüllt von den fröhlichenStimmen der Freunde und Verwandten, die Renzo Cantoni und GroÃvater Amilcare eingeladen hatten. Auch Generoso Castelli war da sowie Freunde von Guido und Léonie.
Léonie erfuhr, dass Generoso sein Testament dahingehend geändert hatte, dass er Guido einen beträchtlichen Teil seines Vermögens vermachte.
»Warum? Was soll das?«, fragte sie.
»Er hat sich immer als Teil der Familie gefühlt. Ich würde gern ein Drehbuch schreiben, das sich an Generosos Lebensgeschichte orientiert. Mich fasziniert diese Dreiecksgeschichte. Generoso hat Nonna Bianca geliebt, aber zwischen ihm und GroÃmutter stand immer Amilcare Cantoni. Manchmal frage ich mich, was sie für die beiden wirklich empfunden hat. Und ich frage mich, wie Groà vater damit leben konnte, wie er sich fühlte, wenn er Generoso Castelli als âºden Galan
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