Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
Vom Netzwerk:
nahm sie die Arbeit in der Firma wieder auf und konzentrierte sich aufs Englischlernen. Sie schrieb sich beim British Council in Mailand zum Sprachkurs ein und teilte ihre Zeit zwischen dem kleinen Giuseppe, der Arbeit und dem Unterricht auf.
    Der Schwiegervater gewöhnte es sich an, sie auf Geschäftsreisen mitzunehmen. Und wenn sie ablehnte, bei ihrem Kind bleiben wollte, fehlte sie ihm, denn Léonie war für ihn zu einer wichtigen Vertrauten geworden.
    Léonie merkte, wie sehr Amilcare sie schätzte. Wenn es irgendwie ging, leistete sie ihm Gesellschaft, und da er wie alle alten Menschen ein fantastisches Langzeitgedächtnis hatte, erfuhr sie noch eine außergewöhnliche Familiengeschichte: die von Celina, einer geborenen Olgiati Tremonti.

Celina

1
    Z ur Mittagszeit waren sämtliche Tische des Ristorante Savini in der Mailänder Galleria Vittorio Emanuele besetzt. Die Gäste waren Unternehmer, reiche Geschäftsleute, Journalisten, Börsen makler, Bankdirektoren, wohlhabende Ausländer, der ein oder an dere Intellektuelle, einige Vertreter des alteingesessenen Mailänder Adels, Politiker und ihre Kofferträger.
    Aber keine einzige Frau war darunter. Das Savini wirkte eher wie ein dem damals vorherrschenden Machotum geweihter Tempel als ein Restaurant.
    Als Conte Alberto Olgiati Tremonti das berühmte Lokal betrat, begrüßte ihn der Inhaber nur wegen seines Namens so ehrerbietig. Denn obwohl der Conte zu den höchsten Adelskreisen zählte, wusste jeder, dass er am Rande des Ruins stand. Im Laufe eines Jahrhunderts war das riesige Vermögen der Olgiati Tremonti langsam dahingeschwunden, und die Besitztümer, die der Graf noch besaß, waren bis auf den Palazzo am Corso Venezia ausnahmslos mit Hypotheken belastet. Dort lebte der Adelige mit seiner Frau Marinella, einer geborenen Principessa Torrani di Gallese, seinem Sohn Jacopo, der Safaris in Afrika organisierte, und mit seiner Tochter Celina, die mit dem jungen Marchese Filippo Aldovrandi verlobt war.
    Â»Ihr Gast ist bereits eingetroffen, Signor Conte, er erwartet Sie an der Bar«, sagte der Inhaber des Restaurants und führte ihn weiter in das Lokal hinein. Amilcare Cantoni stand am Tresen, nippte an einem Aperitif und knabberte Nüsschen.
    Â»Mein lieber Ingenieur!«, begrüßte ihn der Conte und gab ihm die Hand.
    Â»Conte!«, erwiderte Amilcare und schüttelte sie.
    Â»Folgen Sie mir, Cantoni!«, fuhr der Adelige fort.
    Nachdem ihnen der Lokalbesitzer den Weg gewiesen hatte, setzten sie sich an einen Fenstertisch mit Blick auf die Passage.
    Ein Kellner nahm die Bestellung auf, und der Sommelier öffnete eine Flasche Rotwein aus dem Oltrepò.
    Â»Und, mein Lieber, wie geht es Ihnen?«, fragte Conte Olgiati, als sie allein waren.
    Â»Ich kann nicht klagen. Die Fabrik floriert, mein Sohn Renzo ist begabter als ich, und Gioacchino ist Priester – der schönste Beruf der Welt!«, verkündete Amilcare.
    Â»Das sehe ich genauso. In meiner Familie gab es einige Bischöfe und Kardinäle. Weil sie sich nicht mit unseren Sorgen herumschlagen müssen, sind sie alle sehr alt geworden. Sollte ich einmal wiedergeboren werden, lasse ich mich auch zum Priester weihen«, scherzte der Graf. Es war kein Geheimnis, dass seine Leidenschaft fürs weibliche Geschlecht entscheidend dazu beigetragen hatte, sein geerbtes Vermögen dahinschmelzen zu lassen. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Aber um vom Sakralen aufs Weltliche zu kommen: Ich wollte Sie sehen, um mit Ihnen über den Palazzo von Villanova zu sprechen.«
    Â»Ich höre«, sagte Amilcare.
    Â»Er verfällt immer mehr, und ich möchte ihn loswerden. Sie haben sicher schon gehört, dass er mit einer Hypothek belastet ist, aber ich möchte ihn nicht den Banken überlassen. Deshalb frage ich Sie ganz direkt, ob Sie nicht die Hypothek übernehmen wol len. Bei Ihnen wüsste ich ihn in guten Händen, Sie haben sicher Respekt vor seiner Geschichte und den schönen Dingen, die sich noch darin befinden.«
    Amilcare musste daran denken, wie er sich als Kind mit Gleich altrigen in den Park der Villa geschlichen hatte, um im Herbst Kakis und im Sommer anderes Obst zu stehlen. Manchmal waren sie auch zum Gewächshaus gegangen und hatten durch die verschnörkelten schmiedeeisernen Fenster einen Blick auf die Zitronenbäumchen in ihren Tontöpfen geworfen. Oder aber sie waren auf die

Weitere Kostenlose Bücher