Bei Anbruch des Tages
versetzen?«, fragte Guido, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Das ist eine unsympathische Pflanze, auÃerdem stinkt sie. Deine GroÃmutter wollte sie unbedingt haben, und wie immer habe ich auf sie gehört. Aber inzwischen ist auch ihr der unangenehme Geruch dieser Pflanze aufgefallen, die wir früher ja gar nicht gekannt haben.« Dann verabschiedete Amilcare sich von dem Gärtner und setzte sich auf die Steinmauer, die einen alten Maulbeerbaum umschloss.
»Widersprichst du GroÃmutter nie?«, fragte Guido.
»Niemals! Du kennst sie ja. Wenn sie schlecht gelaunt ist, geht sie auf dich los wie eine giftige Viper.«
Guido hatte neben ihm Platz genommen.
»Wieso gibst du nicht einfach zu, dass dir ihre Extravaganzen gefallen und dass es dir Spaà macht, sie zu parieren?«, fragte er.
»Nicht immer.«
»Wenn sie übertreibt, stutzt du sie zurecht.«
»Aber nur, wenn es zu ihrem Besten ist.«
»Ist es nicht unglaublich anstrengend, mit so einer Frau zusammenzuleben? Wäre dir eine unkompliziertere Frau wie meine Mutter zum Beispiel nicht lieber gewesen?«
»Machst du Witze? Ich hätte mich zu Tode gelangweilt. Deine Mutter ist eine Heilige, wirklich! Eine echte Dame mit Stil, die nie ein falsches Wort sagen oder sich irgendwie danebenbenehmen würde ⦠Aber sieh dir doch an, in welchen Zustand sie das gebracht hat! Sie isst und isst, um was weià ich zu verdrängen ⦠Und dein Vater ist genauso. Sie stopfen sich mit Essen voll, um ihre Dämonen zum Schweigen zu bringen.«
Amilcare sah seinem Enkel direkt in die Augen und versuchte, den Grund für seine Fragen zu ergründen.
»Ehrlich gesagt wird in unserer Familie generell nicht viel geredet. Und du bist da nicht anders. Du redest nur mit GroÃmutter.«
»Auch nicht über alles. Es gibt immer Dinge, die man mit sich allein abmachen muss. Aber möchtest du mir gerade irgendetwas sagen?«, fragte er direkt und erhob sich.
Er begriff, dass sein Enkel etwas auf dem Herzen hatte, aber nicht wusste, wie er es sagen sollte.
Als Guido klein war, hatte Amilcare ihm das Radfahren beigebracht, später hatte er ihn mit zu Spaziergängen aufs Land genommen. Er hatte ihm die Kaulquappen in den Wassergräben gezeigt, die Kräuter an den Böschungen und hatte ihm erklärt, wozu man sie gebrauchen konnte: Brunnenkresse, um Kartoffeln zu würzen, Fenchelblüten für den Salat, Malvenblätter für erfrischende Auf güsse. Er hatte zum Himmel emporgesehen und ihm anhand einer winzigen Wolke oder des Flugs der Schwalben erklärt, wie am nächsten Tag das Wetter würde. Er hatte ihm von der wunderbaren Welt der Ameisen erzählt, davon, wie intelligent die Feldmäuse waren. Er hatte Dinge gesagt wie: »Schau nur, wie stabil diese Pflanze ist und wie viele Knospen sie hat. Am robustesten sind die in der Nähe des Stammes. Das ist genauso wie bei uns Menschen: Die gesündesten sind die, die bei ihrer Mutter aufwachsen.«
Daraufhin hatte Guido entgegnet: »Meine Mutter wird mich nie im Stich lassen. Deshalb werde ich immer gesund und widerstandsfähig sein.«
Und nun sagte er: »Nonna Bianca hat mich schon immer fasziniert, auch wenn ich mich ein bisschen vor ihr gefürchtet habe. Vielleicht habe ich mich deswegen in eine junge Frau verliebt, die ihr ähnlich ist: Sie ist so bizarr und unvorhersehbar wie ein wildes Fohlen.«
Amilcare setzte sich wieder auf die Steinmauer.
»Das wurde auch langsam Zeit! Ich dachte schon, du wolltest ewig Junggeselle bleiben!«, meinte er zufrieden.
»Aber sobald ich ihr nahekomme, scheut sie.«
»Das kenne ich«, sagte Amilcare lächelnd und fragte dann: »Wo hast du ihre Bekanntschaft gemacht?«
»In der Schule. Wir sind zusammen in die Grundschule gegangen. Sie mag mich schon lange, das hat sie mir gesagt. Aber immer wieder entwischt sie mir. Als ich versucht habe, sie zu küssen, hat sie mich weggestoÃen.«
»Wer ist es?«, fragte der GroÃvater.
»Sie arbeitet bei uns im Lager.«
Amilcare sagte nichts darauf.
»Findest du es schlimm, dass sie nicht aus unseren Kreisen stammt?«
»Wie denkst du darüber?«, fragte sein GroÃvater.
»Du bist der Sohn eines Bauern und hast GroÃmutter geheiratet.«
Amilcare schwieg.
»Und? Hast du gar nichts dazu zu sagen?«, hakte Guido nach.
»Du hast schon alles gesagt. Du brauchst meine
Weitere Kostenlose Bücher