Bei Anbruch des Tages
Vater bereits am Tisch saÃ.
»Was machst du denn schon so früh hier?«, fragte Guido und nahm ihm gegenüber Platz.
Es war gerade sieben Uhr, und Guido wollte noch kurz ins Büro, da er auf ein dringendes Fax wartete.
»Don Tranquillo hat mich geweckt. Tu mir einen Gefallen, Guido: Schon seit einem Monat geht er mir auf die Nerven, und ich vergesse immer, bei ihm vorbeizuschauen. Er will die Toilettenarmaturen im Gemeindehaus austauschen«, erklärte er.
»Ja, und? Wo ist das Problem? Die Ausgaben der Pfarrei waren doch immer unsere Sache.«
»Aber er besteht darauf, dass ich mir den katastrophalen Zustand der jetzigen Armaturen ansehe, damit ich nicht auf die Idee komme, er wolle mich ausnutzen. Könntest du das bitte für mich erledigen?«
»Wann?«
»Am besten sofort. Sieh mal nach, was es zu tun gibt, und am Montag schickst du ihm dann einen Klempner vorbei.«
Guido wollte seinem Vater diesen Gefallen nicht abschlagen und versprach, Don Tranquillo aufzusuchen, auch wenn sich dadurch seine Fahrt in die Berge verzögerte.
Wenig später betrat er das Gemeindehaus. Ernestina, die alte Haushälterin, schnitt in der Küche Brot.
»Don Tranquillo liest gerade die Messe«, erklärte sie dem jungen Cantoni.
Guido hatte es eilig.
»Ich müsste mir mal kurz die Bäder des Gemeindehauses ansehen. Ich komme schon allein klar«, erwiderte er.
Er kannte sich aus, schlieÃlich war er als Kind oft dort gewesen.
»Nein, er will unbedingt mit Ihnen reden«, beharrte die Frau.
Guido ging in die Kirche und blickte zum Altar. Don Tranquillo las das für diesen Tag vorgesehene Evangelium, und zwar für eine einzige Gottesdienstbesucherin. Sie saà mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen in der ersten Bank, in der der Familie Cantoni. Es war Amaranta. Guido erstarrte, sein Herz schlug wie wild. Auf Zehenspitzen ging er zu ihr und setzte sich neben sie.
»Ciao«, flüsterte er.
Der Priester beendete seine Lesung, und da er ihn gesehen hatte, machte er eine grüÃende Geste.
»Ciao«, sagte sie und musterte ihn aus den Augenwinkeln.
Sie war in eine Lammfelljacke gehüllt und trug wegen des Schnees auf den StraÃen Gummistiefel.
»Was machst du denn um diese Uhrzeit in der Kirche?«, fragte Guido.
»Ich bete«, erwiderte sie.
Sie stand auf, um die Kommunion entgegenzunehmen. Dann kehrte sie an ihren Platz zurück und vertiefte sich in ein Gebet. Don Tranquillo beendete die Messe und segnete die beiden jungen Leute.
AnschlieÃend kam er zu Guido und sagte: »Folgen Sie mir bitte ins Gemeindehaus.«
Guido reagierte mit einem Nicken und trat hinter Amaranta auf den Vorplatz der Kirche.
»Ausgerechnet am Samstag, wenn du ausschlafen könntest, stehst du bei Tagesanbruch auf, um zur Messe zu gehen?«, fragte er.
Sie setzte ihre Wollmütze auf und erwiderte: »Ich gehe jeden Morgen hin, auch wenn ich wie heute die Einzige bin.«
»Warum?«, beharrte er.
»Beten hilft mir«, erwiderte sie, zog sich die Wollhandschuhe an und eilte mit forschen Schritten über den Kirchplatz.
Ihr Atem bildete kleine weiÃe Wolken in der eiskalten Morgenluft.
»Gibt es so viele Sünden, die du dir vergeben lassen musst?«, scherzte Guido, der ihr gefolgt war.
»Auch nicht mehr als bei anderen. Trotzdem bete ich, damit mir der Herr den Weg zeigt.«
»Ich verstehe nicht.«
»Aber ich, und das reicht.«
»Kannst du kurz warten? Ich rede mit dir!«
Sie blieb stehen und sah ihn mit ihren Katzenaugen direkt an: »Ich höre.«
In diesem Moment vergaà Guido seine Bergtour, auf der er sich mit Freunden amüsieren wollte, und fragte: »Möchtest du heute mit mir zu Mittag essen?«
»Gut«, erwiderte sie, woraufhin es ihm die Sprache verschlug, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass sie einwilligen würde.
»Dann hole ich dich gegen eins ab? Ich bringe dich nach Mailand in ein nettes Lokal â¦Â«
»Nein. Kennst du Ritas Pizzeria? Sie liegt am Ende der Piazza. Ich warte dort um eins auf dich. Und jetzt geh zum Pfarrer, er wartet auf dich.«
Und bevor Guido noch etwas sagen konnte, war sie schon auf ihr Rad gestiegen und davongefahren.
Don Tranquillo wartete im Gemeindehaus.
»Was wolltest du von Mara?«, fragte er streng.
»Sie gefällt mir«, rutschte es Guido heraus.
»Sie ist ein liebes Mädchen, aber sie passt nicht zu dir.
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