Bei Anbruch des Tages
jagte ihr die Vorstellung, Sex zu haben, nach wie vor furchtbare Angst ein, obwohl sie Guido liebte und begehrte. Guido verstand das und wollte sie nicht drängen. Er wollte sie glücklich machen.
Wenn sie in der Via Mozart übernachteten, wo sie inzwischen wohnte, schlief er auf dem Sofa. Trotzdem waren sie sich näher, als es mit vielen Frauen der Fall gewesen war, mit denen er geschlafen hatte.
Mit jedem Tag vertiefte sich ihre Beziehung, die für beide immer wichtiger wurde.
Damit Amaranta beschäftigt war, wenn er arbeitete, bat Guido sie, die Artikel zu lesen, die in der Firmenzeitung veröffentlicht wurden. Amaranta hatte die Aufgabe, ihm zu sagen, welche ihr gefielen und welche sie langweilten, welche Themen sie interessant fand. Sie sollte alle Wörter oder Sätze unterstreichen, die sie nicht auf Anhieb verstand.
Amaranta war sehr intelligent, und während sie seinen Ausführungen lauschte, wurde Guido bewusst, wie hilfreich die Gespräche mit ihr waren. SchlieÃlich wollte er seinen Angestellten eine Zeitung bieten, die alle gern lasen.
In diesem Monat war er mit seinem Vater mehrmals auf Geschäftsreise gewesen und hatte Amaranta ein paar Tage allein gelassen. In dieser Zeit hatte sie einen Artikel über die Probleme der Fabrikarbeiterinnen geschrieben, der in den Neuesten Nachrichten veröffentlicht worden war.
»Die Tante hatte einen weiteren Schlaganfall und kann jetzt nicht mehr sprechen«, erzählte sie Guido, als er sie vom Altersheim abholte.
»Wird sie gut versorgt?«, fragte er.
»Sie bekommt Kortison, mehr kann man nicht tun. Ich habe mit dem Arzt gesprochen, und der meinte, ihre Tage seien gezählt.«
»Und die würdest du gern mit ihr verbringen.«
»Ja. Sie liegt allein in einem Zimmer, in dem noch ein beque mer Sessel steht. Dort könnte ich übernachten. Hast du etwas dagegen?«
»Ich habe etwas dagegen, dass es deiner Tante so schlecht geht«, erwiderte er und strich zärtlich über ihre Hand.
Drei Tage später starb die alte Frau.
»Jetzt bin ich vollkommen allein«, stellte Amaranta nach der Beerdigung fest, als sie mit Guido in die Via Mozart zurückkehrte.
»Aber du hast doch mich!«, versicherte er ihr.
»Ich brauche einen festen Halt, auf den ich mich verlassen kann.«
»Du kannst gut auf deinen eigenen FüÃen stehen«, sagte er beunruhigt.
»So war es schon immer, und ständig habe ich das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Die Tante war mein Familienersatz, die Arbeit in der Fabrik hat mir Würde gegeben und das Gebet Kraft. Doch jetzt, da die Tante nicht mehr lebt und ich nicht mehr arbeiten gehe, genügt mir der Glaube nicht mehr. Du kannst das nicht verstehen, weil du immer eine Familie hattest, die für dich da war.«
»Wir beide können auch eine Familie sein: Wenn du es willst, heirate ich dich.«
»Dafür reicht es nicht aus, nur verliebt zu sein. Man muss den anderen mit all seinen Schwächen akzeptieren, und wir kennen uns noch nicht gut genug, um das beurteilen zu können. Was ist, wenn wir nach einer Weile merken, dass uns nur eine vorübergehende Leidenschaft verbindet anstatt ewiger Liebe?«
Guido verstand nicht recht, was sie meinte, und sah sie verwirrt an.
Er hatte sie nach der Beerdigung in die Via Mozart gebracht und wollte sie trösten, ihr eine gemeinsame Zukunft aufzeigen. Und jetzt sagte sie, dass sie ihn vielleicht gar nicht richtig liebte.
»Du bist verrückt und willst, dass ich ebenfalls verrückt werde!«, sagte er genervt.
Sie sah ihn mit ihren wunderschönen grünen Augen an, unterdrückte ein Schluchzen und stammelte: »Du machst mir Angst!«
Sie war schön, verängstigt, zerbrechlich und verwirrt, und er betete sie an, auch wenn ihn ihre Art ermüdete, alles so kompliziert zu machen und ihm das Leben zu erschweren. Dabei war doch alles ganz einfach ⦠SchlieÃlich traf er eine Entscheidung. Er lächelte sie an, nahm ihren Arm und zog sie ins Schlafzimmer, wobei er flüsterte: »Ich liebe dich sehr und will dich nur glücklich machen.«
14
I n der halbdunklen Kirche, umgeben vom vertrauten, betäubenden Duft nach Kerzen, Weihrauch und Blumen, ging Amaranta bei Don Tranquillo zur Beichte. Der hörte ihren Ausführungen ungerührt zu, die von ihren inneren Nöten zeugten.
Nachdem sie verstummt war, sagte der Priester: »Mara, du darfst die
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