Bei Anbruch des Tages
der Firma nicht glücklich bist. Alles in dir sehnt sich danach, dich vom Joch der Armaturen zu befreien. Die Verehrung, die du deinem Vater entgegenbringst, und dein Bedürfnis, es ihm recht zu machen, haben es dir unmöglich gemacht, frei über deine Zukunft zu bestimmen. Ich habe dich beobachtet, wenn du liest und dir Anmerkungen an den Rand schreibst. Wenn du dir eifrig Notizen zu einem Gedicht oder einer Erzählung machst. Ich weiÃ, dass du ein Künstler bist, der etwas aus Worten erschaffen will«, sagte sie ihm eines Nachts, als das Boot an der Küste des Peloponnes entlangfuhr und sie auf der Brücke standen, um sich die Sterne anzusehen.
Guido dachte lange über ihre Worte nach. Und je mehr er darüber nachsann, desto überzeugter war er nicht nur von Amarantas Intelligenz, sondern auch von der Innigkeit ihrer Beziehung.
Sie hatten keine Geheimnisse voreinander und konnten sich auch unangenehme Wahrheiten sagen, weil sie wussten, dass es keine unüberwindbaren Hindernisse gab.
Nachdem sie nach Mailand zurückgekehrt waren, gab Guido ihr mehrere Erzählungen zu lesen, die er in den letzten beiden Jahren geschrieben hatte und sorgfältig in einer Schublade aufbewahrte.
Sie waren einige Tage früher nach Hause gekommen als geplant, da Amaranta einen Kontrolltermin beim Frauenarzt hatte und Guido nicht wollte, dass sie ihn verschob.
Er begleitete sie zum Arzt, einem früheren Klassenkameraden, der jetzt Assistent des Oberarztes an der Mangiagalli-Klinik war.
Der Spezialist unterzog Amaranta einer genauen Untersuchung und meinte, die Schwangerschaft entwickle sich ganz normal. Amaranta sagte ihm, dass sie seit über einem Monat nicht mehr an den seltsamen Fieberschüben leide, die sie ihr ganzes Leben über immer wieder heimgesucht hatten.
»Das ist die Kraft der Mutterschaft«, erklärte der Arzt und vereinbarte für das Ende des siebten Monats einen neuen Termin. Amaranta und Guido verbrachten den Abend zu Hause. Sie bereitete eine schlichte Mahlzeit zu.
Als sie in der Küche vor ihrer Graupensuppe Platz nahmen, legte sie ihm ein Blatt vor, das sie mit ihrer eigenwilligen Schrift bedeckt hatte. Guido las: »Noch zu erledigen, bevor das Kind kommt.« Er sah auf. »Muss ich das sofort lesen?«
»Ja, bitte. Dann reden wir beim Essen darüber«, erwiderte sie.
Er begann laut vorzulesen: »Erstens: Unser Kind bekommt ein eigenes Zimmer, sobald es zur Schule geht. Vorher wird es neben seiner Mutter schlafen, ohne dass es ein Kindermädchen gibt.«
»Ich will nicht, dass das Kind in dem Bewusstsein aufwächst, privilegiert zu sein«, erklärte Amaranta.
»Das ist scheinheilig, schlieÃlich ist es privilegiert: Seine Eltern haben gerade einen Monat Urlaub auf einem wunderschönen Boot gemacht. Davon können Mütter aus der Arbeiterschicht nur träumen!«
»AuÃer, sie lernen einen Mann wie dich kennen. Aber schon morgen könntest du fort sein. Ich bin die feste Bezugsperson für unser Kind. Und ich bin nun mal eine Frau aus dem Volk.«
»Glaubst du, ich könnte ⦠sterben?«, fragte Guido besorgt.
»Das nicht, mein Schatz! Ich denke eher, dass du mich eines Tages leid wirst.«
»Das Gleiche könnte ich von dir denken.«
»Nur dass ich die Mutter bin und mein Kind nie allein lassen werde.«
»Du willst mir also sagen, dass du mich leid werden könntest?«, fragte er gereizt.
»Du erschreckst mein Kind«, erwiderte sie und legte die Hand auf den Bauch.
»Wenn die anderen Punkte ähnliche Dinge betreffen, lese ich gar nicht erst weiter. Und versuch nicht, mich zu erpressen, indem du behauptest, ich könnte dich oder unser Kind erschrecken«, protestierte er.
»Ich wollte ein vernünftiges Gespräch führen. Aber anscheinend ist das mit dir unmöglich!«, schimpfte Amaranta und riss ihm das Blatt aus der Hand.
Er sah sie verzweifelt an.
»Amaranta, wir werden uns doch jetzt nicht streiten?«, sagte er leise.
»Anscheinend schon«, erwiderte sie und krümmte sich vor Schmerzen, wobei sie einen Schrei unterdrückte. »Ich habe Wehen ⦠Es geht mir sehr schlecht, bitte ruf sofort den Arzt.«
17
A ls alles vorbei war, wurde es hell. Amaranta lag noch ganz benommen von den Beruhigungsmitteln im Bett der Klinik, in die sie gebracht worden war. Guido saà neben ihr und streichelte ihre Hand. Er war verwirrt und traurig, denn
Weitere Kostenlose Bücher