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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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ließ sie allein. Léonie schlief ein, und als die Morgendämmerung eines weiteren Wintertags sie weckte, sah sie, dass ihr Mann in Jeans und Pulli neben ihr schlief. Auch Giuseppe, der Erstgeborene, schlief dort, eng an seinen Vater geschmiegt.
    In dem großen Bett und der gedämpften Stille des frühen Morgens war ihre verlässliche, beruhigende Familie bei ihr – genau so wie sie es sich immer vorgestellt und erträumt hatte. Sie konnte sich wirklich glücklich schätzen.
    Die Zimmertür ging auf, und ein Dienstmädchen, das das Neugeborene im Arm hielt und zum Stillen brachte, steckte den Kopf herein. Léonie legte den Zeigefinger auf die Lippen, damit sie schwieg, und schlüpfte aus dem Bett. Sie nahm den Kleinen auf den Arm, verließ mit der Hausangestellten das Zimmer und betrat den Nebenraum, der für das Neugeborene eingerichtet worden war. Sie stillte das Kind und vertraute es anschließend wieder der Kinderfrau an.
    Â»Ist schon jemand in der Küche?«, fragte sie.
    Â»Natürlich, Signora.«
    Léonie betrat den Lift und fuhr nach unten. Die Küche war hell erleuchtet. Sie roch köstlichen Kaffeeduft. Aus dem Speisesaal drangen die Stimmen der Gärtner, Chauffeure und Putzfrauen herüber, die gerade frühstückten. Auf einem Tisch reihten sich ofenfrischer Kuchen, knuspriges Brot und aufgeschnittenes Obst aneinander. Eine Frau presste Orangen aus.
    Â»Guten Tag, Evelina!«, sagte Léonie.
    Â»Signora!«, rief das Hausmädchen und wischte sich rasch die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Meinen Glückwunsch!«, fügte sie lächelnd hinzu.
    Â»Danke. Ich habe Hunger«, verkündete Léonie und zog einen Hocker an den Marmortisch heran.
    Â»Ich bringe Ihnen das Frühstück auf die Veranda«, erwiderte Evelina diensteifrig.
    Â»Nein, ich möchte gleich wieder ins Bett. Aber ein frisch ge presster Orangensaft, ein Stück Kuchen und ein Kaffee wären herrlich!«
    Evelina beeilte sich, ihrem Wunsch nachzukommen, und als Léonie ihren Orangensaft trank, kamen Guido und Giuseppe herein, die sie mit Küssen und Umarmungen hochleben ließen.
    Â»Wann bist du zurückgekommen?«, fragte sie Guido.
    Â»Um drei, aber du hast tief geschlafen. Ich muss ziemlich müde gewesen sein, denn nachdem ich Gioacchino begrüßt habe, habe ich Giuseppe aus seinem Zimmer geholt, und wir sind neben dir eingeschlafen. Danke für unseren neuen, wunderschönen Sohn!«, sagte er gerührt und küsste sie auf die Wange.
    Â»Es stimmt nicht, dass er schön ist. Er ist unglaublich hässlich«, verbesserte Giuseppe ihn und schlang dann die Arme um den Hals seiner Mutter.
    Â»Da hast du recht!«, pflichtete ihm Léonie zärtlich bei. »Gioacchino ist äußerst hässlich. Aber zum Glück habe ich noch dich, und du bist wunderschön«, fügte sie hinzu, um die Eifersucht des Erstgeborenen zu dämpfen.
    Â»Aber Gioacchino hat dich lieb. Deshalb hat er dir ein Geschenk mitgebracht«, sagte Guido zu seinem Sohn.
    Â»Wirklich?«, fragte der Kleine misstrauisch.
    Léonie sah ihren Mann an, der ihr zunickte, und erklärte dem Kind: »Wenn du zurück auf dein Zimmer gehst, wirst du die Über raschung sehen, die dein kleiner Bruder dir bereitet hat.«
    Â»Ich gehe gleich nachschauen!«, beschloss Giuseppe und rutschte vom Schoß seiner Mutter.
    Evelina begleitete ihn in den ersten Stock, und Guido gestand seiner Frau: »Ich habe ihm in Rom ein Fahrrad gekauft. Er hat es sich so gewünscht! Es steht neben seinem Bett, aber noch hat er es gar nicht gesehen.«
    Â»Bist du müde?«, fragte sie.
    Â»Wenn hier jemand Grund hat, müde zu sein, dann wohl eher du«, erwiderte ihr Mann. Er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und wiederholte: »Danke.«
    Léonie sah Guido zärtlich an, so als sähe sie ihn zum ersten Mal. Und im Grunde war es auch so, da ihn das, was Nonno Amilcare über Guidos Leidenschaft für Amaranta erzählt hatte, in ein ganz neues Licht rückte. Er war jetzt viel durchschaubarer. Sie spielte mit dem Gedanken, ihn zu fragen: »Trefft ihr euch noch?« Denn eine solche Liebe konnte doch nicht einfach mit ihrer Flucht ins Kloster geendet haben. Aber was, wenn seine Antwort lautete: »Ja, ich liebe sie immer noch.«
    Sie fragte sich, was sie selbst ihm bedeutete, ob sie nach Amaranta nur eine

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