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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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zum Kuss hin.
    Â»Wann bist du zurückgekommen?«, fragte sie.
    Â»Gestern Abend, aber ich habe noch lange gearbeitet und bin im Arbeitszimmer eingeschlafen«, erwiderte er. »Und wie geht es dir?« Er konnte sich gerade noch davon zurückhalten, sie einem strengen Verhör zu unterziehen.
    Â» Papà, schau nur, ich arbeite«, jubelte Giuseppe.
    Â»Sehr schön!«, sagte Guido und ließ seine Frau nicht aus den Augen.
    Â»Hervorragend. Sieht man das nicht?« Léonie wirkte glücklich.
    Â»Wo warst du gestern?«, fragte er beiläufig.
    Â»Ich habe mir eine Pause von zwölf Stunden gegönnt«, erwiderte sie gelassen.
    Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie ins Haus zu zerren und ihr Vorwürfe zu machen, und der Angst, eine unangenehme Antwort zu erhalten, entschied er sich für einen Kompromiss.

9
    G uido beschloss, sich an eine Privatdetektei zu wenden, die in Mailand für genau zwei Dinge bekannt war: für ihre Seriosität und Professionalität sowie für ihr unverschämtes Honorar. Die Inhaberin, Antonella Ponzani, war ein Ausbund an Korrektheit. Sie hatte die Detektei von ihrem Vater übernommen und ihren Aktionsradius auf Unternehmen ausgedehnt, um das tatsächliche Potenzial einer Marke oder Finanzgruppe in puncto Bankdarlehen, Fusionen und Transaktionen zu ermitteln. Ihre Vermögens nachforschungen waren zuverlässiger als die der Steuerbehörden – nicht umsonst hatte sie einige ehemalige Steuerfahnder unter ihren Mitarbeitern.
    Auf ebenso diskrete wie verschwiegene Weise nahm sich Antonella Ponzani auch Familienproblemen an wie Ehebruch, gewalttätige Jugendliche oder Spielsucht.
    Wie die meisten hatte auch Guido Cantoni schon von dieser Detektei gehört. Trotzdem hätte er nie gedacht, einmal ihre Dienste in Anspruch nehmen zu müssen. Doch genau das tat er jetzt, wenn auch etwas verschämt. Aber der Wunsch, mehr zu erfahren, war stärker als seine Scham.
    Guido war eifersüchtig.
    Léonie Tardivaux, die charmante, intelligente Französin, hatte ihn nach der Sache mit Amaranta vor der schlimmsten Verzweiflung bewahrt.
    Hätte ihn der Schmerz über Amarantas Zurückweisung nicht in so tiefe Depressionen gestürzt, hätte er sich vielleicht eher für einen anderen Frauentyp interessiert. Für jemanden mit ähnlichen Interessen und kulturellen Vorlieben. Doch in jener von Selbstzweifeln geprägten Lage hatte er in Léonie eine zuverlässige Partnerin entdeckt, die ihn mit ihrer Fröhlichkeit und Spontaneität vielleicht aus dem tiefen Tal hinausführen konnte. Und genau so war es auch gewesen. Sie war unkompliziert, unterstützte ihn, wo sie nur konnte, und er hatte wieder angefangen, das Leben zu lieben. Mit der Zeit hatte seine Frau überraschende Qualitäten entwickelt und war inzwischen zu einem unverzichtbaren Mitglied der Familie Cantoni geworden.
    Ohne es zu merken, hatte Guido sich Tag für Tag mehr in sie verliebt, und die Erinnerung an Amaranta schmerzte ihn immer weniger. Er besuchte sie zwar noch ab und zu im Kloster, aber seit einigen Jahren in einer durchaus ausgeglicheneren Verfassung. Zuletzt hatte er ihr gegenüber sogar eingestanden: »Wir haben beide Glück gehabt: Du bist deiner Berufung gefolgt, und ich habe begriffen, dass du recht hattest. Hätten wir geheiratet, hätten wir uns irgendwann gehasst.«
    Jetzt sagte er in der Detektei zu Antonella Ponzani: »Ich habe meine Frau mit einem Mann in Varenna gesehen. Sie sind in ein kleines Hotel am See gegangen.«
    Hätte die Frau in dem Moment einen banalen, tröstenden Satz gesagt, hätte Guido sich verabschiedet und wäre geflohen. Er war nämlich alles andere als stolz auf das, was er tat: Die Figur des Privatdetektivs gefiel ihm in Krimis von Mickey Spillane oder Raymond Chandler, im eigenen Leben deutlich weniger. Denn nicht nur, dass er seine Frau erniedrigte, indem er sie beschatten ließ, erniedrigte er sich durch seine Anfrage bei der Detektei selbst. Doch die Besitzerin der Detektei ging gleich auf sein Anliegen ein: »Verstehe. Aber sind Sie sicher, dass Sie die Wahrheit wissen wollen? Haben Sie schon versucht, mit Ihrer Frau zu reden?«
    Antonella hatte Klasse. Sie war um die vierzig und hatte das Haar im Nacken zu einem tief sitzenden Knoten gebunden. Sie war nicht wirklich schön, hatte aber einen aufgeweckten, freundlichen Blick und duftete nach Maiglöckchen.

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