Bei Anbruch des Tages
letzten Jahr sind alle kaputt. Das Dach des Schuppens, in dem sie aufbewahrt wurden, ist wohl undicht«, erklärte die Schwiegermutter.
Kurz darauf kam Guido. Die Sonne war inzwischen untergegangen.
Er küsste seine Frau auf die Stirn und fragte: »Mit wem hast du heute zu Mittag gegessen?«
»Mit einer Freundin, die du nicht kennst. Eine aus meinem Yogakurs«, log Léonie überraschend gelassen.
Ihr Mann hatte sie zu Anfang ihrer dritten Schwangerschaft dazu überredet, einen Gymnastikkurs zu belegen. Sie hatte wenig überzeugt eingewilligt, doch nach einigen Monaten gemerkt, wie gut es ihr tat.
»Wie wäre es, wenn wir heute Abend ausgehen würden? Ich habe einen talentierten Regisseur kennengelernt und ihn und seine Frau ins Vecchio Mulino eingeladen.«
»Bei dieser Kälte hättest du sie besser zu uns eingeladen!«, mischte sich Celina ein.
Léonie war der gleichen Meinung.
»Bitte, lad sie lieber zu uns ein! Ich muss die Kleine stillen.«
Guido gab sich geschlagen und ging hinaus, während der um Aufmerksamkeit heischende Giuseppe versuchte, Gioia wegzuschubsen, um sich seiner Mutter in die Arme werfen zu können. Gioacchino wachte auf und begann zu weinen. Die Schwiegertochter und die Schwiegermutter sahen sich vielsagend an, woraufhin Léonie lachend sagte: »Jetzt ist es mit unserer Ruhe vorbei!«
Die beiden Gäste kamen mit einer Flasche Champagner und einer Torte, obwohl die Cantonis einen Koch und einen Patissier im Haus hatten. Bei der Arbeit in Rom hatte Guido nie über sich und seine Familie gesprochen, doch nun, da sie zusammen am Tisch saÃen, schwärmte er von seiner Frau, nannte sie eine fantastische Mutter und eine Managerin, die immer für eine Ãberraschung gut sei.
»Andererseits verbringen Sie sehr wenig Zeit zusammen«, bemerkte die Frau des Regisseurs, eine Kostümbildnerin. »Haben Sie denn gar keine Angst, bei all den Frauen, die sich in der Welt des Films tummeln und jeden becircen, nur um an eine Rolle zu kommen? Die sind zu allem bereit, um Erfolg zu haben! Ein gut aussehender Drehbuchautor wie Ihr Mann gefällt bestimmt vielen.«
Léonie verkniff sich eine böse Antwort und beschränkte sich darauf, zu lächeln und freundlich zu antworten: »Woher kommt dieses mangelnde Vertrauen? Sollte es einen konkreten Anlass geben, will ich ihn gar nicht wissen.«
Die Kostümbildnerin begriff, dass sie sich auf vermintes Gelände begeben hatte, und versuchte, ihren Fehler wiedergutzumachen.
»Das war natürlich nur ein Scherz«, gab sie vor.
»Du lässt aber auch kein Fettnäpfchen aus!«, tadelte ihr Ehemann, der Regisseur, peinlich berührt.
Léonie schloss aus dem Ganzen, dass der Mann seine Frau wohl betrog.
Guido entspannte die Atmosphäre, indem er das Thema wechselte. Aber nachdem die beiden gegangen waren, sagte er zu Léonie: »Er ist ein fantastischer Regisseur, hat aber ein weniger glückliches Händchen im Umgang mit Frauen.«
Diese Kritik deckte sich mit Léonies Eindruck, und es freute sie, dass Guido genauso dachte.
»Ganz meine Meinung!«
»Gut, dass du bei dem Essen heute dabei warst! Sonst wäre es mir vielleicht entgangen, und es könnte sich negativ auf unsere Zusammenarbeit auswirken. Danke für deine wertvolle Unterstützung.«
Als Léonie sich im Frühling von der Schwangerschaft erholt und ihre alte Figur wiederhatte, half sie ihrem Schwiegervater erneut ganztags in der Firma. Guido, der daran gedacht hatte, eine eigene Filmproduktionsgesellschaft zu gründen, verwarf die sen Gedanken wieder, da er mit so namhaften Konkurrenten wie Cineriz, Titanus oder De Laurentiis nie würde mithalten können. Es mangelte ihm nicht an Geld, sondern eher an der Lust auf das anstrengende Tagesgeschäft eines Filmproduzenten. Letztlich war er ein Geschichtenerfinder. Einer, der es liebte, Figuren zu entwickeln und sie auf die groÃe Leinwand zu bringen. Einer, der sich gern spannende Plots und überzeugende Dialoge ausdachte.
Gegen Ende des Jahres, am 22. Dezember, lieà Léonie ihre drei Kinder in der Obhut der Frauen des Hauses, um nach Varenna zu fahren.
Sie brach gut gelaunt auf, da sie sich keine Ausrede für ihre Abwesenheit ausdenken musste. Guido war zwei Tage zuvor mit einem Regisseur und einem Standfotografen zu einer Locationsuche aufgebrochen.
»Ich bin auf der Suche nach einem reizvollen Ort,
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